Freireligiös-Sein

 

- Erklärungen -

 

Chronologische Dokumentation

1946 - 1999

 

 

 

 

Textauswahl aus dem

Freireligiösen Quellenbuch, Band 2,  (1926 – 2000)

 

 

 

 

2014

Zusammenstellung:

Lothar Geis

Mainz

 

 

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„Was ist denn freireligiös?“ Mit dieser Frage sehen sich nahezu alle Mitglieder Freireligiöser Gemeinden konfrontiert,  wenn sie sich als solche zu erkennen geben oder wenn sie von anderen als zu den Freireligiösen gehörend bezeichnet werden.

Eine kurze, gut eingängige Beantwortung fällt nicht leicht. Das Thema ist zu vielschichtig. Um Fragenden dennoch eine hinreichend befriedigende Antwort zu bieten, sollen die ab Seite 15 aufgeführten Verlautbarungen eine Vielfalt von Erklärungen liefern.

Informationssuchenden fällt es erfahrungsgemäß schwer zu verstehen, dass Freireligiöse nicht glauben, im Besitz einer letzten religiösen Wahrheit zu sein. Das unterscheidet sie von allen anderen Konfessionen.

Alle Religionen gelten nach freireligiöser Auffassung als Menschenwerk. Zudem besteht Einigkeit, dass die Lehren der überlieferten Konfessionen den Erkenntnissen moderner Weltanschauung nicht Stand halten. Dennoch halten Freireligiöse weiter fest am Gefühl der Religiosität. Freireligiöse halten Religiosität für eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Diese suchen sie zu bewahren. Das ist eine Grundauffassung freier Religion.

Frei in der Religion zu sein, bedeutet vor allem, sich angesichts der gegenwärtigen Weltsicht nicht mehr an alte, festgefügte Glaubenslehren, -regeln oder gar Dogmen binden zu wollen, dabei jedoch zum Wesen der Welt eine von Erfurcht und Vertrauen getragene religiöse Beziehung zu bewahren und aus dieser Haltung sittliches Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln. Freie Religion beinhaltet kein in sich geschlossenes geistiges System, und deshalb gibt es auch keine freireligiöse Glaubenslehre.

Aus diesem Grund ist es viel zutreffender, von freier Religiosität zu sprechen. Freie Religiosität stellt, vereint mit kritischem Bewusstsein und einem aktuellen Weltverständnis, eine geistige Haltung bzw. eine Lebenseinstellung dar, wohingegen Konfessionen - gemäß ihrer Wortbedeutung - ein geglaubtes Bekenntnis ausdrücken. 

Historisch gesehen haben die Freireligiösen sich seit ihrer Gründung ab 1845 zunehmend vom Christentum gelöst. Sie haben zu einer diesseitigen, auf den Menschen (nicht auf Gott oder göttliche Gebote) bezogenen, Religiosität gefunden und diese kultiviert und gepflegt. Dabei nutzen sie
Ansätze aus anderen Religionen und greifen auch Gedanken „ketzerischer“ Dichter und Philosophen auf. Diese Ansätze und Gedanken werden in den Gemeinden erarbeitet und den Mitgliedern ohne jeglichen Glaubenszwang in Form von diskutablen Leitlinien angeboten. Die Auseinandersetzung darüber sowie die Suche nach einer zeitgemäßen Religiosität bestimmt freireligiöses Leben. Die Möglichkeit, innerhalb Freireligiöser Gemeinden über religiöse Auffassungen zu diskutieren, ist bei allen anderen Religionen oder Konfessionen undenkbar. Das ist das Alleinstellungsmerkmal einer freien Religion.

Damit  erklärt sich allerdings nur das formale Prinzip einer freien Religion. Hinweise auf deren Inhalte sind daraus nicht abzuleiten. Das soll mit der nachfolgenden Textsammlung versucht werden. Es handelt  sich dabei um Texte bzw. Passagen aus Informationsschriften Freireligiöser Gemeinschaften, die seinerzeit in aufklärender und informierender Absicht veröffentlicht worden sind. Sie drücken deren jeweiliges zeitgeprägtes Verständnis vom Freireligiös-Sein aus. Zudem fanden Beiträge von Einzelpersonen oder Gruppen Berücksichtigung, die geeignet erschienen, die "offiziellen" Informationsschriften zu bereichern bzw. zu optimieren.

Die Vielfalt und Verschiedenheit der Darstellungen ergeben ein breites Spektrum von Informationen, das Außenstehenden vielleicht ermöglicht, das bisher Gesagte besser zu verstehen.

Aufgrund der Quellenlage bot sich die Zeitspanne von 1946 bis einschließlich 1999 an.

Ich halte die vorliegende Textsammlung für geeignet, allen am Freireligiös-Sein Interessierten einen hinreichenden Eindruck vom Wesen Freier Religion zu geben. Wenn ich mit dieser Broschüre sowohl bei  jenen, die noch nie etwas von Freireligiösen Gemeinden gehört haben, als auch bei jenen, die solcher Auffassung bewusst fern stehen, zu einem besseren Verständnis des Freireligiös-Seins beitragen könnte, würde mich das freuen.

Lothar Geis

 


Freireligiöse Emotionen

 

 

Es schlägt ein einzig Herz in diesem All,

In deiner eignen Brust ertönt sein Widerhall.

                      Marie von Ebner Eschenbach

 

 

In Seelen, die das Leben aushalten

und Mitleid  üben und menschlich walten,

mit vereinten Waffen

wirken und schaffen,

trotz Hohn und Spott,

da ist Gott!

                                  Friedrich Theodor Vischer

 

 

Die ganze Natur ist eine Melodie,

in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.

    Johann Wolfgang von Goethe

 

Gott schläft als Stein,

atmet in der Pflanze,

träumt als Tier

und erwacht als Mensch.

         Nach einer alten indischen Spruchweisheit

 

 

 

 

Welche Religion ich bekenne?

Keine von allen, die du mir nennst!

Und warum keine?

Aus Religion!

                                        Friedrich von Schiller

 

 

 

Das Ewig-Eine stäubt mithin im Staube,

blüht in der Rose,

fibriert im Sonnenstrahl,

kristallisiert im Diamant,

denkt im Menschen.

Nicht in seinem Urgrunde,

in seiner endlichen Erscheinungsform ist das Alles verschieden.

                                             Eduard Baltzer

 

 

Die Natur

Die Natur schafft ewig neue Gestalten;

was da ist, war noch nie;

was da war, kommt nicht wieder.

Alles ist neu, und doch immer das Alte.

Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben

und macht sich nichts aus den Individuen.

Sie baut immer und zerstört immer,

und ihre Werkstätte ist unzugänglich.

Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr:

und doch rückt sie nicht weiter.

Sie verwandelt sich ewig und ist kein Moment

Stillstehen in ihr.  Sie ist fest;

ihr Tritt ist gemessen, ihre Gesetze unwandelbar.

Alles  ist  immerdar  in  ihr;

Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht.

Gegenwart ist ihre Ewigkeit.

                         Johann Wolfgang von Goethe

 

 

Der du nicht Stein bist, doch des Steines Kraft,

die Kern und Schale hält in enger Haft;

der du nicht Rose bist, doch ihre Pracht,

ihr Duft, ihr Auge, das zur Sonne lacht;

der du nicht Eiche bist, doch wohl ihr Mark,

der Stolz, der aus ihr atmet, lebensstark.

Die Welt ist nichts als Form, in der du prägst,

ist nichts als die Gewandung , die du trägst.

Mein Ich sieht nur den Glimmer, nur den Schein,

du siehst in mir ins Herz der Welt hinein.

Mein Ich fühlt nur, was schmeichelnd ihm behagt,

du fühlst in mir, was sich zu opfern wagt.

Du  zehrst an mir, wie Glut an Eisen zehrt,

du ruhest nicht, bis ich schlackenlos verklärt.

Lässt du von mir, bin ich ein Spiel, ein Spott;

Mein Ich, erfüllt mit dir ist selber Gott.

                                                    Heinrich Hart

 

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Inhaltsverzeichnis

Jahr

Titel und Herausgeber

Seite

1946

Was will die Freie Religionsgemeinschaft Mainz

Freie Religionsgemeinschaft Mainz

15

1947

Der Grundgedanke der Freireligiösen
Bewegung

Freireligiöse Gemeinde Mainz

17

1949

An das Göttliche

Dr. Georg Pick

18

1949

Grundgesinnung der Freireligiösen
Gemeinde Mainz

Freireligiöse Gemeinde Mainz

19

< 1950

Leitfaden für den freireligiösen
Jugendweih-Unterricht

AG Aufbaupädagogik

Landesverband Nordrhein-Westfahlen im Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschland

20

1950

Informationsbroschüre

Freireligiöse Landesgemeinschaft Hessen

21

1950

Was versteht man unter freireligiös?

Dr. Karl Weiß

22

1952

Grundgesinnung der

Frei-religiösen Gemeinde Offenbach

24

1953

Richtschnur des freien Glaubens

Fritz Hermann

25

1954

Wer wir sind und was wir wollen

Frei-religiöse Landesgemeinde

Nordrhein-Westfalen

27

1956

Entwurf eines Vorworts zu einem gemeinsamen Lehrplan des Bundes Freireligiöser Gemeinden  zum Freireligiösen Religionsunterricht

Dr. Georg Pick

29

1956

Jugendweih-Unterricht

Freireligiöse Landesgemeinschaft

Niedersachsen

Dr. Dietrich Bronder

30

1956

Jugendweihfragen

Freireligiöse Landesgemeinde Baden

31

1956

Jugendweihfragen

Freireligiöse Landesgemeinde Pfalz

35

1957

Leitsätze

Freireligiöse Landesgemeinschaft

Niedersachsen

39

1958

Weltfrömmigkeit

Dr. Heinz Schlötermann,

Dr. Lilo Schlötermann,

Dr. Wilhelm Bonness,

Werner Schultz

40

1959

Thesen für Jugendweihlinge im Bund

Freireligiöser Gemeinden

Dr. Georg Pick

44

1959

Religio

Fritz Hermann

47


1960

Grundhaltung der

Freien Religionsgemeinschaft Hessen

48

1961

So wird mir Religion

Richard Radßat

50

1962

Glaubensbekenntnis

M.B.

51

1962

Was heißt Leben?

Dr. Georg Pick

52

1962

Unsere Grundlagen

- Leitfaden für den freireligiösen
  Religionsunterricht –

Freireligiöse Landesgemeinschaft
Niedersachsen

53

ca. 1965

Unterlagen für den freireligiösen
Religionsunterricht

Freireligiöse Landesgemeinde Pfalz

56

1966

Arbeitsgemeinschaft Freie Religion

Dr. Georg Pick

60

1966

Wir glauben

Frei-religiöse Gemeinde Offenbach

62

1968

Grundgesinnung, Glaubensüberlieferung und Gemeindebegriff

Verband freier Religionsgemeinschaften

63

1975

Freireligiös – Grundsätze einer modernen
Religion

Freireligiöse Gemeinde Wiesbaden

65

1977

Grundzüge freier Religion

Fritz Hermann

68

1981

Glaubensbekenntnis

Fritz Röben

70

1981

Religiös

Irma Grote

72

1982

Warum ich mich „frei-religiös“ fühle

Irma Grothe

73

1985

Liberale Religiosität

Dr. Heinz Schlötermann

75

1989

Was heißt freireligiös?

Freireligiöse Landesgemeinde
Württemberg

83

1992

Grundgedanken der
Freireligiösen Gemeinde Mainz

Vorentwurf: Elke Gensler

86

1994

Grundsatz – Verfassung der

Freireligiösen Landesgemeinde Baden

91

1999

18 Fragen an Freireligiöse

Thomas Lasi

92

 

 

 

 

1946     Was will die Freie Religionsgemeinschaft?

Informationsblatt der Freien Religionsgemeinschaft Mainz, 1946

 

Zwölf Leitsätze freireligiöser Gottes- und Weltanschauung

. . .

5.      Sie [Die Freie Religionsgemeinschaft Mainz] sieht in Gott  den Urgrund  alles Daseins, der unerforschlich ist und nur in Sinnbildern und Gleichnissen erahnt werden kann.
Diesem Göttlichen in allen Lebenslagen zu vertrauen und sich in ihm geborgen zu fühlen, ist ihr die religiöse Grundlage inneren Friedens. In welchen Bildern der Einzelne sein Verhältnis zur Gottheit am besten ausspricht, muss ihm anheimgestellt bleiben.

Sie lehnt dem entsprechend jeden Glaubenszwang ab.

6.      Sie erkennt Gott in der Welt als die ewige Schöpferkraft, die in allen Dingen waltet und sich überall offenbart, wo edles und reines Leben erblüht.

Sie lehnt es dem entsprechend ab, einen Gegensatz zwischen Gott und Natur zu konstruieren.

7.      Sie vertritt den Glauben an die Ewigkeit des Göttlichen, an „das Ewig-Eine, das sich vielfach offenbart“ (Goethe), der zum Geistesgut fast aller abendländischen Weisen gehört. Das Leben entstammt einem einheitlichen göttlichen
Ursprung und erfüllt seine Aufgabe im Streben nach Einheit im Sinne der Harmonie und Ordnung seiner Kräfte. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist der Glaube
der Freien Religionsgemeinschaft unitarisch (auf die Einheit des Göttlichen gerichtet) zu bezeichnen.

Sie lehnt dementsprechend das Dogma der Dreieinigkeit und die absolute Entgegensetzung von Gott und Welt, Natur und Geist, Körper und Seele ab.

8.      Sie findet Gott im Menschen als den Willen zu vollkommenem Leben, das Streben nach Wahrheit, Schönheit und Gemeinschaftsgesinnung.

Sie lehnt dementsprechend bei aller Anerkennung des Hanges zum Bösen im Menschen den Glauben an die ursprüngliche Verderbtheit des menschlichen Herzens, an die Erbsünde, ab.

. . .

11. Als Wegbereiter zu ihrer Gottesauffassung und Helfer zu einer wesenhaften Lebensführung gelten ihr die großen geistigen Persönlichkeiten, die der Menschheit den Weg gewiesen haben. So verehrt sie die großen Religionsstifter und Weisen aller Völker und macht ihre Lebenseinsichten für sich fruchtbar. Gestalten wie
Zarathustra, Buddha, Laotse, Kungfutse, Jesus in
gleicher Weise wie Sokrates, Plato, Meister Eckhart Giordano Bruno, Leibniz, Lessing, Kant, Goethe, Schiller, Hölderlin können den Einzelnen seiner höchsten Lebensbestimmung näher bringen.

Sie lehnt dementsprechend ab, einen unter ihnen als Gottes Sohn oder eine kirchliche Organisation als alleinseligmachende Vermittlerin der Wahrheit zu betrachten. . . .

 

 

 

1947    Der Grundgedanke der Freireligiösen Bewegung

festschrift

zur jahrhundertfeier der Freireligiösen Gemeinde Mainz

(mitglied der Freien Religionsgemeinschaft Deutschlands)

von Georg Pick

aus: Sonderdruck

Freireligiöse Gemeinde Mainz, 1947

 

 

.   .  .   Und wenn wir nun die letzte Frage stellen: Woher stammt dieses Weltgesetz des Höherstrebens, das allem Dasein aufgegeben ist? so sehen wir uns an einem Punkte, an dem wir nur noch in Bildern und Gleichnissen sprechen können, die jeder sich im Anschluss an die großen Seher und Künstler der Menschheit entsprechend seinem persönlichen Wesen selbst erwerben muss.

Über alle Unterschiede hinweg aber können wir uns einig
fühlen in dem Worte Schillers:

Hoch über der Zeit und dem Raume webt

lebendig der höchste Gedanke

In diesen höchsten Gedanken ist auch unsere Person eingefügt, in ihm fühlen wir uns geborgen, mag sonst mit uns
geschehen, was da wolle. . .

 

 

 

1949      An das Göttliche

Eine Sammlung freier religiöser Dichtungen

 

herausgegeben von Pfarrer Dr. Georg Pick

Freireligiöse Gemeinde Mainz, 1949

 

 [Vorwort des Herausgebers zu dem 102 (DIN A 6)Seiten starken Band]

 

Eingang

Religion ist der Blick für das Wunderbare, Heilige, Göttliche. Der Freireligiöse stellt diese Seelenhaltung in das Weltbild der Gegenwart ein. Er erkennt Gott als die schöpferische Kraft, die alle Ordnung und Schönheit in der Welt hervorbringt. Er findet sie im Aufbau der Atome, im Organismus der Lebewesen, in den Schöpfungen der Menschheit wie in der eigenen Brust.

Wer von dieser Glaubenshaltung bestimmt ist, glaubt nicht an einen göttlichen Lenker der Dinge, den er durch Bitten beeinflussen könnte. Gebet bedeutet ihm, sich dem großen
Geheimnis zu nähern, das die letzten Gründe des Daseins umwebt, und dadurch seine seelische Kampfkraft zu erneuern. Er weiß, dass wir von den letzten Dingen nur in Bildern zu sprechen vermögen. Ein solches Bild ist auch die Hinwendung zum Ewigen als zu einem Du, die Form der Anrede. Manchem wird sie als der unmittelbarste Ausdruck religiöser Bewegtheit erscheinen, und dankbar wird er dem Weg folgen, den ihm dichterische Gestaltungskraft bereitet hat. . .

 

 

 

1949    Grundgesinnung der Freireligiösen Gemeinde Mainz

Rückseite eines Beitrittsgesuches

für die

Freireligiösen Gemeinde Mainz,

1949

 

Religiöse  Gesinnung

Die Gemeinde versteht unter Religion die Ehrfurcht vor Gott als dem ewigen Urgrund alles Seins. Sie bekennt sich zu dem Glauben, dass das Göttliche sich in den schöpferischen Kräften der Natur, in den aufbauenden Mächten der Geschichte und in den wesenhaften Seelenkräften des Menschen offenbart. In diesem Glauben an das Wirken des Ewigen in allem Vergänglichen fühlt sich der Freireligiöse verbunden mit allen Wesen; er findet in ihm eine Quelle der Kraft im Lebenskampf, Halt im Wechsel des Schicksals und Fassung im Angesicht des Todes.

Gesinnung  der  Freiheit

Unter Freiheit versteht die Gemeinde Bindung des Menschen an seinen Wesenskern, die Fähigkeit, sich im Denken und Handeln von seinem sittlichen Bewusstsein leiten zu lassen. Dementsprechend anerkennt sie das Recht eines jeden Mitglieds, sich im Einzelnen seine religiösen Vorstellungen nach eigener bester Einsicht selbstverantwortlich zu bilden. . .

 

 

 

vor 1950          Leitfaden für den freireligiösen Jugendweih-Unterricht

Sonderdruck

der Arbeitsgemeinschaft „Aufbaupädagogik“

Herausgegeben von:

Landesverband Nordrhein-Westfalen

im Bund Freireligiöser Gemeinden,

Dortmund-Hörde

 

 

. . . Wie stehen wir zum höchsten religiösen Wert, dem Göttlichen?

Wir Freireligiösen glauben nicht an einen Gott, gleichwohl sprechen wir von einer „Gottesidee“, von einem „Göttlichen“. Man zeige das Göttliche in der Natur, in ihren schöpferischen Kräften. Anknüpfung an Goethes Begriff der „Gottnatur“, an die „innere Schöpfungskraft“ (Künstlers Abendlied). Beispiele für das Naturgöttliche: Reichtum, Pracht und Schönheit der biologischen Formen in der Pflanzen- und Tierwelt (die Orchidee, der Paradiesvogel), der physikalischen Formen in der Kleinwelt der Atome, die erst die moderne Naturwissenschaft erschlossen hat, endlich der kosmischen Formen in der Sternenwelt, ihre Gesetzlichkeit, ihre ewige Ordnung, das Naturwunderbare in all diesen Welten und im All überhaupt, das wir als Göttliches bewundern und verehren. Ebenso das Geistwunderbare im Menschen, der innere Glanz: Wissen, Verstand, Vernunft mit ihren sittlichen Gesetzen, kurz das natürliche Wunder des Geistes, in dem die Welt gleichsam ein Auge aufgeschlagen hat und das uns wie ein höchstes Göttliches erscheint. Endlich: Hinführung zum Begriff des Unergründlichen und Unerklärlichen im ewigen und lebendigen Weltseienden überhaupt. –  . . .

 

 

 

1950    Informationsbroschüre

aus: Informationsbroschüre der

Freireligiösen Landesgemeinschaft Hessen,

 

. . .           Was versteht der Freireligiöse also unter Religion:

Freie Religion ist

mehr als das bloße Für-wahr-halten von Glaubenssätzen und das Befolgen äußerlicher Kultvorschriften.

Freie Religion beruht auf

dem Ahnen, ja dem Wissen, von der Einheit der Welt und ihrer inneren Ordnung.

Freie Religion beruht aber auch auf

der Anerkennung eines Sinnzusammenhanges zwischen dem Leben des Einzelnen und dem Leben schlechthin.

Hieraus gewinnt der Freireligiöse den Mut und das Verantwortungsbewusstsein für die Gestaltung des menschlichen Schicksals auf dieser Erde.

Freie Religion bedeutet keinesfalls

Ergebung in einen – jahrhundertelang missdeuteten und missbrauchten – „Willen Gottes“ und Glaube an die Menschwerdung dieses Gottes in einem Heiland und Welterlöser.

Frei Religion bedeutet vielmehr

Die Anerkennung der Tatsache, dass der Aufstieg des Menschen aus dem Reich der Natur eine großartige Offenbarung schöpferischer Kräfte darstellt, und die Überzeugung, dass der Mensch als Träger von Bewusstseins- und Geisteskräfte zum Mitschöpfer in und an dieser Erscheinungswelt berufen ist. . . .

 

 

 

1950      Was versteht man unter freireligiös?

aus: Dr. Karl Weiß

„125 Jahre Kampf um freie Religion“

Mannheim, 1970

 

 

Freireligiös ist

nicht der, der die Kirchen und ihren Glauben verneint; nicht

der, der Priester und Papsttum ablehnt;

nicht der, der auf ihre Schädlichkeit in Vergangenheit und

Gegenwart hinweist;

nicht der, der die Bibel als Gotteswort ablehnt, das

Christentum als veraltet und Jesus als Mensch oder gar als Gedankendichtung erklärt.

Freireligiös ist nur der,

-          der sich eins fühlt mit dem Alleinen und Ewigen und stündlich daraus Kraft schöpft für des Lebens Veredlung;

-          der die Erde liebt wie eine traute Heimat und das Leben wie einen kostbaren Schatz;

-          der den Krieg als Zerstörung wertvollen Lebens und unersetzbarer Geisteswerke als größtes Verbrechen erklärt und ihn endgültig ablehnt;

-          der den Fortschritt bejaht, mag er auch noch so viel Leid im Gefolge haben;

-          der die Wohlfahrt der Menschen, ihre Verhältnisse und Zustände so zu ändern trachtet, dass sie jedem Schaffenden ein Anrecht geben auf die Früchte seiner Arbeit und jedem Raum genug lassen, um seine leiblichen und geistigen Kräfte zu entwickeln;

-          der brüderlich gesinnt ist gegen den Mitmenschen, gerecht ist in seinen Handlungen und die Wahrheit stellt über alles;

-          der gegen den Andersglaubenden und Andersdenkenden höflich bleibt und in seinem Anderssein nicht eine zu
hassende Ketzerei, sondern ein Teil der Mannigfaltigkeit göttlichen Geistes erblickt;

-          der im Leide nicht klagt, im Unglück stille ist und aus den Nöten des Lebens Kraft zu schöpfen versteht für seine geistige und sittliche Höherentwicklung;

-          der den Tod nicht fürchtet, weil er in ihm den Künder
ewigen Lebens sieht.

 

 

 

1952    Grundgesinnung

Frei-religiöse Gemeinde Offenbach

von Pfarrer Max Gehrmann

Sonderdruck

Religion

Religion ist als seelische Haltung die Ehrfurcht vor dem Ewigen als dem Urgrund allen Seins, ist in der Tat das Ringen um höchste, letzthin gültige Werte.

Es  ist gleichermaßen, herkömmlich genannt, die Ehrfurcht vor Gott. Das Wesen des Ewigen ist unerforschlich und deshalb, da jede Aussage menschlich bedingter Erkenntnis unzureichend bleiben muss, nur in Sinnbild und Gleichnis zu erahnen und zu deuten.

Offenbarung des Ewigen in der Welt ist die wunderreiche Schöpfermacht des Lebenswillens, der die Einheit alles Lebenden bewirkt, im Menschen ist es die Liebe. Die Harmonie mit dem Ewigen in Ehrfurcht vor dem Leben, besonders in Achtung vor der Menschenwürde, in allumfassender Liebe und Gemeinschaftsgeist, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, somit in Arbeit am Kulturaufbau, an Gesellschaftsordnung und in Friedensstiftung zu verwirklichen, ist der heiligende Sinn, den wir gegenüber unbegreiflichem Sinnlosen der Welt unserem Dasein selber zu geben vermögen.

Diese Sinngebung kennzeichnet zugleich unseren Glauben, dessen Bekenntnis die Tat des Lebens ist. Durch das Vertrauen, mit dem Ewigen in Geist und Wille eins zu werden, begnadet der Glaube uns mit den Gefühl unerschütterlicher Geborgenheit, stimmt zur Lebensfreude, lehrt Maß zu halten im Glück, so wie er Kraft und Trost spendet in der Anfechtung des Leidens, hegt unaufhörlich die Hoffnung, dass durch die Macht der Liebe Erlösung von der Schuld des Bösen zu erreichen sei, lässt uns den Tod bestehen in der zeitlebens bedachten Zuversicht, dass in Liebe bei aller Vergänglichkeit die Gewähr der Dauer begründet sei, dass im Wesensgrunde das Ewige fortwirke, Unsterblichkeit gewonnen werde. . .

 

 

 

1953      Richtsätze des freien Glaubens

von Fritz Hermann

Aus. Dietrich Bronder „Zeugen Freier Religion“

Hannover 1963

 

 

1.      Der Ursprung

Freier Glaube wird geboren aus dem religiösen Erlebnis der menschlichen Seele und aus dem Erlebnis der Welt und ihres Wesens.

Er wird bestimmt von den Fragen nach dem Sinn des Seins und wird geformt von den Antworten, wie sie Vernunft und Erkenntnis gestatten. Die Brücke zwischen Erleben und Erkennen ist ihm der bedingungslose Wille zur Wahrheit.

2.      Die Welt

Freier Glaube stellt den Menschen in die Welt. Er richtet sein Wünschen und Hoffen nicht auf erdachte oder
erträumte Überwelten, sondern auf diese Welt, wie sie ist, wie sie wurde und wie sie durch ihn sein soll.

3.      Das Weltbild

Freier Glaube sucht in der Religion nicht nur Frieden und Trost, sondern ebenso auch die Wahrheit als Frucht klaren Erkennens und reinen Erlebens. Er lässt den Menschen sich nicht genügen an überkommenen Lehren, sondern misst deren Gültigkeit an seinem Weltbild, wie es unmittelbar aus Wissenschaft, Naturgeschehen und innerem
Erleben zu gewinnen ist.

4.      Das Religiöse

Freier Glaube sieht das Eigentümliche des Religiösen in der Bindung an die Wesenskräfte des Seins und an seine Höchstwerte. Er anerkennt und verehrt in der Vielfalt der Erscheinungen die Unendlichkeit des Wesens der Welt, das heißt des Göttlichen. Die tragenden Kräfte des Lebens – Geburt und Wachstum, Reife und Tod – sind ihm unmittelbar Zeugen dieses Wesens; die sinnvolle Gestaltung des Daseins mit den Kräften der Seele und des Geistes bedeuten ihm Auftrag, Pflicht und Erfüllung.

5.      Das Schöpferische

Freier Glauben bindet den Menschen durch Erkenntnis und Erleben an das Wesen der Welt, wie es in den schöpferischen Kräften der Natur und der menschlichen Seele offenbar wird. Entscheid und Bekenntnis zu ihnen sind frei und unmittelbar wie das Schöpferische selbst. . . .

 

 

 

1954      Wer wir sind und was wir wollen!

Frei-religiöse Landesgemeinde Nordrhein-Westfalen

Sonderdruck

 

. .  .                                  

H.   Über Gott.

„Wir haben keinen lieben Vater im Himmel!“

(Fr. Th. Vischer),

aber

„Das Göttliche strahle der Mensch in die Welt!“

(Rud. G. Binding)

Den Glauben an eine aus dem Jenseits wirkende persönliche Gotteskraft, die auf Bitten der Menschen die Naturgesetze durchbrechen kann und die uns die richtige Religion in sogenannten heiligen Schriften offenbart, lehnen wir als eine uns nicht mehr mögliche Gottesauffassung ab. Für ein sittliches Menschentum scheint uns eine Gottesvorstellung, die in Gott den Beförderer oder Verhinderer unseres irdischen Glückes und Wohlergehen erblickt, auf den wir durch unsere Gebete, unseren Glauben oder gar durch vorschriftsmäßig ausgeführte priesterliche Handlungen einwirken können, nicht würdig genug zu sein.

In Übereinstimmung mit diesen Gedanken sei ein Bekenntnis von Max Plank, dem berühmten Physiker und Nobelpreisträger, aus einem Briefe vom 18.06.1947, also kurz vor seinem Tode, erwähnt. Er schreibt:

„In Beantwortung Ihres Schreibens vom 10.06.1947 kann ich Ihnen mitteilen, dass ich selber seit jeher tief religiös veranlagt bin, dass ich aber nicht an  einen persönlichen Gott, geschweige denn an einen christlichen Gott glaube"

Wir als Freireligiöse kennen nur eine schöpferische Selbstgestaltungskraft innerhalb der Natur oder des Weltlebendigen, der wir, aber nur bildlich, den Namen Gott oder göttlich oder das Göttliche beilegen.

Das Höchste, was die Natur, dieses Weltlebendige, hervorgebracht hat, ist der Menschengeist. Er ist in Wahrheit „das Göttliche“.

Und alles, was dieser hohe Menschengeist an großen, erhabenen Ideen hervorbringt, kann ebenfalls (aber auch nur wieder bildlich) das Göttliche genannt werden. Dieses Göttliche, zum Beispiel die Idee des Wahren, Guten, Schönen, die Idee der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Friedens „strahle der Mensch in die Welt“. . .

 

 

 

1956    Entwurf eines Vorwortes

zu einem gemeinsamen Lehrplan

des Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands

für den freireligiösen Religionsunterricht

 

Fassung: Dr. Georg Pick

 

 

Das Bestreben, religiöse Gesinnung und die ihr entsprechende Sittlichkeit von dogmatischer Bindung zu lösen, fand auf deutschem Boden durch die seit 1845 ins Leben gerufenen Freireligiösen Gemeinden organisatorische Form und führte damit zur Einrichtung freireligiösen Unterrichts.

Der Leitgedanken des für diesen Unterricht hier vorliegenden Lehrplans ergeben sich aus folgender Begriffsbestimmung, die die Grundgesinnung der Freireligiösen Gemeinde kenn-zeichnet:

Religion ist Ehrfurcht vor dem Ewigen als dem Urgrund allen Seins. Das Wesen des Ewigen ist unerforschlich und deshalb durch Lehrsätze nicht zu bestimmen.

Das Wirken des Ewigen offenbart sich als der alldurch-waltende schöpferische und liebeweckende Lebenswille, durch den wir uns in Einheit mit allem Lebendigen befinden. Ihn heilig zu halten und in Liebe und Gemeinschaftsgeist, besonders in Achtung vor der Menschenwürde zu betätigen, ist der Sinn unseres Daseins.

Freiheit ist nicht Pflichtenlosigkeit, sondern Verantwortung vor dem Gewissen als dem Gesetz des Ewigen im Menschen-wesen. Damit erheben wir uns zu der sittlichen Fähigkeit, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. .  .

 

 

 

1956    Jugendweihe-Unterricht

von Dr. Dietrich Bronder

Aus: „Die Geistesfreiheit“

Nr. 10 – 50. Jg.

Oktober 1956

. . .

Hier liegt der Kern der Wahrheit,

nach der wir im ewigen Zweifel streben, immer wieder Rechenschaft haltend und fragend, ob wir wahr und echt sind. Denn das alte griechische Ideal des Wahren, Guten und Schönen ist auch das unsere. In seiner Verwirklichung sehen wir den Sinn unseres Lebens. Damit aber lehnen wir jede Heuchelei und Glaubensüberheblichkeit ab: denn wir wollen leben, was wir
bekennen – und uns zu dem bekennen können, was wir tun.

Die uns von der Natur gegebene Schöpferkraft lässt uns die
Natur erkennen, ja sie verpflichtet uns zu ewigem Streben und Bemühen um Wahrheit, Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit. Unsere Anschauung, die wir dabei von der Welt gewinnen, wird von freier Religiosität überhöht. Wir verbinden Verstand und Gefühl
miteinander und stellen ein Gleichgewicht her, das geistig-seelische Gesundheit bedeutet.

Wir sind uns natürlich bewusst, dass alles Forschen nach dem Weltengrund, der Allkraft, dem Absoluten – wie immer wir es nennen mögen – sehr große Schwierigkeiten bietet.

Aber wir empfinden uns auch so als ein Teil von ihm. Wir sehen und fühlen diese Lebensmacht am Wirken in der Welt, die wir monistisch, ganzheitlich als eine innere und äußere Einheit auffassen. Und so können wir das Ewige, Unerforschliche, Unpersönliche nur schweigend verehren, symbolhaft als göttlich
bezeichnen (gut und göttlich entstammen derselben Sprachwurzel). . .

           

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Jugendweihfragen         1957

der Freireligiösen Landesgemeinden Baden und Pfalz
(Auszug)

Der Freireligiöse

 März/April 1957

 

 

Baden

. . .

8.       Was verstehen wir unter Religion?

Für uns Freireligiöse ist Religion die Rückbindung an die ewigen göttlichen Kräfte des natürlichen Lebens.

Wir bekennen mit Goethe: „Das Dasein ist Gott“.

9.       Dieser freie Gottesglaube ist von Goethe dichterisch ausgesprochen worden, kannst du diesen Vers nennen?

„Was wär´ ein Gott, der nur von außen stieße,

Im Kreis das All am Finger laufen ließe!

Ihm ziemt´s, die Welt im Innern zu bewegen,

Natur in sich, sich in Natur zu hegen,

So dass, was in ihm lebt und webt und ist,

Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermisst.“

10.   Durch welchen Philosophen ist Goethe zur Dichtung dieser
Verse angeregt worden?

Durch Giordano Bruno.

11.   Wann lebte Giordano Bruno?

Im 16. Jahrhundert; er wurde nach siebenjähriger Kerkerhaft am 17. Februar 1600 als Ketzer verbrannt.

12.   Worin bestand seine ketzerische Lehre?

Giordano Bruno glaubte nicht mehr an den jenseitigen Gott der Kirchen, er lehrte: „Gott lebt in uns und in ihm weben und sind wir. Wie die Natur jeglichen Daseins Fundament, so ist das tiefere Fundament der Natur in
allem Gott. Darum ist es gut gesagt: dass wir in ihm
leben, weben und sind. Er ist in allen Lebens Leben,
aller Kräfte Kraft, aller Wesen Wesenheit“.

13.   Ist dieser Gott, von dem Giordano Bruno und Goethe sprechen, ein persönliches Wesen?

Nein. Gott ist schöpferische Kraft in der Natur, ewige Wirkkraft.

14.   Unser Gott ist also nicht an einem Ort außerhalb der Welt und auch nicht an einem Ort in der Welt zu finden; dürfen wir nun überhaupt noch fragen: Wo ist Gott?

Nein. Jakob Böhme lehrte uns: „Du darfst nicht sagen: Wo ist Gott? Höre, du blinder Mensch, du lebst in Gott, und Gott ist in dir: und so du heilig lebst, so bist du selber Gott: wo du nur hinsiehst, da ist Gott“.

15.   Und wie bekannten die alten Inder?

„Gott schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier, wacht auf im Menschen“.

16.   Wie nennen wir das Erwachen des Göttlichen in uns?

Die Vernunft.

17.   Wird unsere freie Religion damit zur Vernunftreligion?

Ja. Wir glauben an die Vernunft als göttliche Kraft in uns;

diese Vernunft nennen wir Geist.

18.   Ist dieser Geist ein heiliger Geist, an den in den Kirchen geglaubt wird?

Nein. Wir sprechen mit Wislicenus: „Wir haben eine
 andere höchste Autorität. Sie ist der in uns selbst lebendige Geist. Freilich nicht nach kirchlicher Satzung eine besondere Person in der Gottheit, vielmehr das göttliche Leben in der Menschheit.“

. . .

29.   Damit tritt an die Stelle des kirchlich geforderten übernatürlichen Glaubens das eigene Denken und Bemühen, die Wahrheit selbständig zu erforschen.

Sind wir Freireligiösen damit glaubenslos?

Nein. Wir glauben an die Vernunft; wir glauben, dass es dem Menschen möglich ist, denkend das Ewige zu
ergründen. Wir glauben an die ewig-schöpferischen Kräfte in der Natur.

30.    Friedrich Lienhard hat diesen freien Glauben sehr schön beschrieben; nenne dieses Wort.

„Glauben heißt: in uns selber die schöpferischen Kräfte spüren, die das Weltall durchfluten“.

31.   Nun können wir auch eine klare Antwort geben auf die Frage: Wer ist freireligiös?

„Freireligiös ist nur der, der sich eins fühlt mit dem Alleinen und Ewigen und stündlich daraus Kraft schöpft für des Lebens Veredlung und Vervollkommnung“.
(Karl Weiß)

32.   So nennen wir uns also nicht freireligiös, weil wir frei von Religion sind, sondern?

Freireligiös bedeutet frei von allen überkommenen historischen Religionsformen und zugleich frei zur wahren reinen Religion, die nicht von außen geoffenbart wird, sondern in uns lebendig ist.

33.   Damit haben wir ein grundsätzliches anderes religiöses Ziel als die Kirchen; wie könnte man dieses Ziel bezeichnen?

„Wir erblicken unser religiöses Ziel in der Einkehr in uns selbst, in unser wahres Selbst, in Gott, in einer von aller dogmatischen Bindung freien Religion“. (Arthur Drews)

34.   In welchem Punkt unterscheidet sich unserer freireligiöser Glaube weiterhin von dem übernatürlichen Glauben der Kirchen?

Wir glauben nicht an ein persönliches Leben nach dem Tode; der Tod bedeutet für uns Rückkehr in die Gott-Natur. Wir glauben mit den chinesischen Weisen Tschuangtse, „dass der Weise im Leben der Natur folgt und im Tod zu ihr zurückkehrt“.

35.   Lasst uns nun all das Gehörte in einem Bekenntnis zusammenfassen, das uns Goethe als sein Glaubensbekenntnis hinterlassen hat.

„Ich glaube, dass wir einen Funken jenes ewigen Lichtes in uns tragen, das im Grunde des Seins leuchten muss und welches unsere schwachen Sinne nur von ferne ahnen können. Diesen Funken in uns zur Flamme werden zu lassen, und das Göttliche in uns zu verwirklichen, ist unsere höchste Pflicht.“

 

 

Jugendweihfragen         1957

 

Pfalz

 . .

4.       Warum nennen wir uns also „freireligiös“?

Wir nennen uns freireligiös, um schon im Namen die Freiheit der Religion gegenüber den bestehenden
Kirchen und ihren überlieferten Glaubenssätzen auszusprechen.

5.       Freiheit ist für uns nicht ein willkürliches und verantwortungsloses Tun- und Denkendürfen des Menschen. Was verstehen wir also unter Freiheit?

Wir meinen mit Freiheit die Bezogenheit des Menschen auf sein innerstes Wesen, an das er sich gebunden fühlen soll. Er muss wissen, dass er verantwortlich ist für sein Tun und Denken. Deshalb soll er versuchen, seine guten Eigenschaften und Anlagen zum eigenen und zum Wohle seiner Mitmenschen zu entwickeln.

6.        Welche Aufgaben haben wir uns gestellt?

Wir wollen unsere Mitglieder zur dauernden religiösen Gemeinschaft verbinden, um bei ihnen das dem Menschen eigene religiöse Bewusstsein zu klären, zu vertiefen und sittlich fruchtbar zu machen. Wir unterstützen alle Bestrebungen, die dem Fortschritt der Menschheit dienen und damit dem Frieden und der allgemeinen Wohlfahrt.

7.       Was verstehen wir denn unter Religion?

Wir verstehen unter Religion den Glauben an eine der Welt innewohnende, in ihr sich auswirkende geistige Kraft und damit an einen Sinn und Zweck des Daseins.

8.       Wie nennen wir diese geistige Kraft?

Diese Kraft nennen wir Gott. Begriff, Bild und Vorstellung Gottes überlassen wir dem persönlichen Bedürfnis, Denken und Empfinden des Einzelnen.

9.       Was verstehen wir unter dem Glauben an einen Sinn und Zweck des Daseins?

Die sinn- und zweckvolle Bestimmung des Menschen sehen wir in der Steigerung und Vollendung des Menschen und des Lebens. Wir bekennen uns zu Goethes Wort: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“.

10.   Wie stehen wir also zu dem, was man gemeinhin „das Böse“ in der Welt nennt?

Wir kennen den Bösen oder den Teufel nicht. Wir wissen aber um all das, was man gerne als das Böse und Leidvolle aus dem Leben streichen möchte. Streicht man es aber, so streicht man damit die eigentliche Aufgabe des Menschen. Sie besteht darin, dass der Mensch sein Leben durchsteht – oder wie Schopenhauer schrieb: ein heroisches Leben führt.

11.   Was glauben wir also nicht?

Bei allem Wissen um die Fragwürdigkeit des Daseins glauben wir nicht, dass das Leben nur ein Jammertal und Vorbereitungsstätte für ein besseres Jenseits ist. Wir lehnen die Begriffe Diesseits und Jenseits ab und kennen nur dieses eine, einzige Leben.

12.   Welcher Satz ist uns aus dem Herzen gesprochen?

Der Satz Albert Schweitzers:

„Nur der Mensch ist der Weltbejahung fähig, der durch Resignation hindurchgegangen ist“.

13.   Was heißt das, anders gesagt?

Nur der, der auch die dunklen Täler des Lebens durchschritten hat und seine Wanderung nicht aufgab, der kann wirklich Ja sagen zum Leben, so wie es ist: mit Sonne und Schatten, mit dunklen Abgründen und leuchtenden Höhen.

14.   Was bedeutet uns also Religion in Anwendung auf das Leben?

Angewendet auf das Leben ist uns Religion das Streben, das Göttliche im Menschen zu entfalten und ihn zur freien sittlichen Persönlichkeit heranzubilden.

15.   Was haben wir denn mit den bestehenden Religionen gemein? Und was trennt uns?

Wie die bestehenden Religionen streben wir nach religiös-sittlicher Vervollkommnung.

Wir sind dadurch von ihnen getrennt, dass wir den Glauben an eine außerweltliche Offenbarung, Hilfe und
Vermittlung sowie an eine außerweltliche Belohnung und Bestrafung ablehnen.

16.   Was versuchen wir also in unserer Religionsgemeinschaft?

Wir versuchen, den Menschen in seinem guten Kern zu treffen, seine ihn zum Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes machende Eigenschaften und Anlagen zu bilden und auszubilden. In diesem guten Kern sehen wir das Göttliche im Menschen. In seiner Ausbildung und seinem Wirksamwerden für die menschliche Gemeinschaft finden wir den Wert des Lebens und zwar des Einzelnen wie den seiner Gemeinschaft.

17.   Warum lehnen wir eine übernatürliche Offenbarung ab?

Wir sind davon überzeugt, dass jeder von sich aus den Weg zu Gott finden kann. Der Mensch muss nur aufgeschlossen sein für das Geistesleben der Menschheit, der Natur, für sein eigenes Selbst und für alles, was Leben heißt.

Wir halten es mit dem Wort des Angelus Silesius:

„Gott kann ohne uns kein Nu nicht leben,

geh’n wir zugrund,

er muss vor Not den Geist aufgeben“.

 

 

 

1957    Leitsätze der Freireligiösen
Landesgemeinschaft Niedersachsen

Aus: „Frischer Wind“, Jg. 1. Nr.1, Juli 1959

 

1.       Wir freireligiösen Menschen erstreben eine Neugestaltung der religiösen Anschauungen unseres Volkes. Im Gegensatz zur christlichen Bibelanschauung, sie sich auf ein Jenseits bezieht, beruht unsere Religiosität auf einer dogmenfreien Weltanschauung. Sie wurzelt ganz im irdischen Sein.

2.       Religion ist uns das von Ehrfurcht und Vertrauen getragene Verhältnis des Menschen zum Dasein und das daraus entspringende sittliche Verantwortungsbewusst-sein.

3.       Freie Religiosität erwächst nur aus der persönlichen Auseinandersetzung um sittliche Bindungen und werthafte Ordnungen. Sie erfordert daher Glaubens- und Gewissensfreiheit.

4.       Einen persönlichen Gottesbegriff lehnen wir ab. Jedoch halten wir es für angängig, erhabene menschliche Ideen sowie die schöpferische Kraft der Natur als göttlich zu
bezeichnen

5.       Den Sinn des Lebens erkennen wir vorwiegend in der
Erhaltung unserer menschlichen Art und der Entfaltung unserer guten Anlagen. Die Vermutung einer Fortsetzung unseres Lebens in einem Jenseits sehen wir als unhaltbar an.

 

 

 

1958    Weltfrömmigkeit

Herausgegeben von:

Heinz Schlötermann,  Wilhelm Bonness,

Lilo Schlötermann und Werner Schultz

Freireligiöse Verlagsbuchhandlung Mannheim

 

 

Fragen und Antworten

1.       Was verstehen wir unter Religion?

Antwort: Für uns Freireligiöse ist Religion die Rückbindung an die ewigen göttlichen Kräfte des natürlichen
Lebens. Wir bekennen mit Goethe: „Das Dasein ist Gott“.

2.       Dieser freie Gottesglaube ist von Goethe dichterisch ausgesprochen worden. Kannst du diesen Vers nennen?

A.: „Was wär ´ein Gott, der nur von außen stieße,

Im Kreis das All am Finger laufen ließe!

Ihm ziemt´s, die Welt im Innern zu bewegen,

Natur in sich, sich in Natur zu hegen,

So dass, was in ihm lebt und webt und ist,

Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermisst.“

3.       Durch welchen Philosophen ist Goethe zur Dichtung dieser Verse angeregt worden?

A.: Durch Giordano Bruno.

4.       Wann lebte Giordano Bruno?

A.: Im 16. Jahrhundert, er wurde nach 7-jähriger        Kerkerhaft am 17. Februar 1600 als Ketzer verbrannt.

5.       Worin bestand seine ketzerische Lehre?

A.: Giordano Bruno glaubte  nicht mehr  an den jenseitigen

Gott der Kirchen, er lehrte: „Gott lebt in uns, und in ihm weben und sind wir. Wie die Natur jeglichen Daseins Fundament, so ist das tiefere Fundament der Natur in allem Gott. Darum ist es gut gesagt: dass wir in ihm leben, weben und sind.

Er ist in allen Lebens Leben, aller Kräfte Kraft, aller Wesen Wesenheit“.

6.       Ist dieser Gott, von dem Giordano Bruno und Goethe sprechen, ein persönliches Wesen?

A.: Nein. Gott ist schöpferische Kraft in der Natur, ewige

Wirkkraft.

7.       Wo findest Du diesen Gott?

A.: Mein Gott ist überall! Wo der Strom blaut, wo der

 Himmel taut, wo die Wolken sich jagen,

wo die Nachtigallen schlagen,

wo die Erde schweigend in Schnee sich hüllt,

wo der Lenz aus Millionen Kehlen quillt!

Er ist mir nah, er ist überall nah,

im freien Geist ist er am herrlichsten da.

Wo das Herz glüht, wo die Liebe blüht,

wo Gedanken wundervoll entstehen,

wo die Seelen miteinander gehen,

wo Begeisterung flammt und Wahrheitsmut,

wo die Herzen ringen ums höchste Gut,

da ist das Ewige nah, da ist Gott selber da!

8.       Unser Glaube ist also nicht an einem Ort außerhalb der Welt und auch nicht an einem Ort in der Welt zu finden. Dürfen wir nun überhaupt noch fragen: Wo ist Gott?

A.:  Nein, Jakob Böhme lehrt uns:

 „Du darfst nicht sagen: Wo ist Gott? Höre, du blinder Mensch, du lebst in Gott, und Gott ist in dir: und so du heilig lebst, so bist du selber Gott: wo du nur hinsiehst, da ist Gott.“

9.       Ebenso bekannte Angelus Silesius. Wie heißt dieses Wort?

A.: „Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir:

Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“

10.   Ähnlich sprach auch Fichte, kennst du dieses Wort?

A.: „Willst du Gott schauen, wie er in sich selber ist,

von Angesicht zu Angesicht? Suche ihn nicht jenseits der Wolken. Du findest ihn in deiner Brust.“

11.   Und wie bekannten die alten Inder?

A.: Gott schläft im Stein,

 atmet in der Pflanze,

 träumt im Tier,

wacht auf im Menschen.“

12.   Wie nennen wir das Erwachen des Göttlichen in uns?

A.: Vernunft.

13.   Können wir die urschöpferische Kraft in der Natur also [auch] durch Vernunft erkennen?

A.: Ja. Wir bekennen mit Goethe:

Gott ist die Vernunft selber.

Alle Geschöpfe sind davon durchdrungen, und der Mensch hat davon so viel, dass er Teile des Höchsten erkennen mag.“

14.   Wird unsere freie Religion damit zur Vernunftreligion?

A.: Ja. Wir glauben an die Vernunft als göttliche Kraft in

      uns; diese Vernunft nennen wir Geist.

15.   Ist dieser Geist ein Heiliger Geist, an den in den Kirchen geglaubt wird?

A.: Nein. Wir sprechen mit Wislicenus:

„Wir haben eine andere höchste Autorität. Sie ist der in uns selbst lebendige Geist. Freilich nicht nach kirch-licher Satzung eine besondere Person in der Gottheit, vielmehr das göttliche Leben der Menschheit.“

. . .

 

 

1959    Thesen für Jugendweihlinge

aus: „Die freireligiöse Bewegung – Wesen und Auftrag“

Selbstverlag des

Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands,

1959

 

Dr. Georg Pick

 

 

1.      Wir nennen uns freireligiös, weil Freiheit und Religion die Grundlagen unseres geistigen Lebens sind, wir sind frei in unserer Religion.

Frei ist der Mensch, der die Kraft hat, sein Leben auf seine eigene Verantwortung zu stellen, in seinem Denken und Handeln gegenüber äußerem Zwang und inneren Versuchungen allgemein seinem Gewissen zu folgen.

2.      Wir nennen uns freireligiös, weil das Leben uns etwas Heiliges ist.

Niemand kennt den letzten Urgrund der Welt; er bleibt ewiges Geheimnis dem fragenden Menschen. Religion ist Ehrfurcht vor diesem geheimen Quell alles Lebens; wir stehen ehrfürchtig vor der ewigen Schöpferkraft, die in allem Dasein sichtbar ist.

3.      Wir bilden unsere religiösen Anschauungen in rückhaltlosem Streben nach Wahrheit. Darum gehen wir ohne Vorbehalt vom wissenschaftlichen Weltbild unserer Zeit aus. Jede neue Erkenntnis schenkt uns Einblick in die wunderbaren Gründe des Daseins.

4.      Unser Glaube wurzelt in der Gegenwart, er ist aus dem Denken, Fühlen und Wollen unserer Zeit erwachsen. Auf der Höhe unseres heutigen Wissens erkennen wir die
große Bedeutung des Entwicklungsgedankens für unsere religiöse Weltanschauung. Ein Streben nach Ordnung der Kräfte hat alle Formen des Lebens hervorgebracht und das Leben bis zum Menschen empor geführt.

Auch die Menschheit steht in dieser Entwicklung. Wir fühlen uns verpflichtet, sie weiter zu führen. Deshalb binden wir uns nicht an Bekenntnisse alter Zeiten. So wertvoll uns auch die religiösen Schöpfungen der Vergangenheit sind, wir können sie nur im Zusammenhang mit ihrer Zeit verstehen. So muss das Verhältnis zum Ewigen auch für uns dem Ruf des Lebens folgen.

5.      Wir wissen, dass der Weltengrund unerforschlich ist. Deshalb richten wir unseren Blick auf die Welt.

Nicht von einem Jenseits her können wir die Bestimmung unseres Lebens begreifen. Wir erkennen sie vielmehr in dem unserem reisten Wesen entspringen Ringen nach den Idealen der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Schönheit und der Liebe. In ihm erleben wir selbst die ordnende und schaffende Kraft, die alles Lebens Ursprungs ist. Hier ist das Ewige, das wir in uns tragen, der göttliche Funke, der Quell jeder Leistung, aller charaktervollen Lebensführung, aller seelischen Kraft in der Begegnung mit Leid und Tod. Die großen Bahnbrecher der Menschheit können uns darin Vorbild sein.

6.      Freie Religion heißt soziale Religion. Sie gibt uns das
Bewusstsein, dass wir nur als Glieder der menschlichen Gemeinschaft unseren Lebensauftrag erfüllen. Wir fühlen uns verbunden mit dem Leben der anderen Menschen. In ernster Lebensarbeit, in liebevoller, opferfreudiger Tat findet unser Glaube seine höchste Bewährung.

7.      Unsere Gemeinschaft ist nicht zusammengehalten durch bestimmte Glaubenssätze, sondern durch die Einheit der religiösen Gesinnung. Die Freireligiöse Gemeinde will der religiöse Weg sein zu der ersehnten umfassenden Menschheitsgemeinschaft, wo religiöser Hass  und Fanatismus verschwinden und alle sich als freie Menschen zum heiligen Bunde die Bruderhand reichen.

 

 

 

1959     Religio

von Fritz Hermann

 

Ich weiß, dass überall im endlichen Bereich das Unendliche west und wirkt, und alle Endlichkeit von ihm umgeben und durchflutet ist  –

Ich weiß, dass alles Sein dieser Unendlichkeit bedarf, um zu sein und zu werden, und dass die Vielfalt der Formen im Unendlichen ihr großes Gemeinsames hat  –

Ich weiß, dass ich als Mensch im endlichen Raume gezeugt und geboren bin, dass ich in ihm heranwachse und mir die hohe Aufgabe zuteilwird, im Endlichen dem Unendlichen zu dienen und so als Mensch mich zu erfüllen  –

Ich weiß, dass ich durch die Mächte meines Leibes mit allem Lebendigen verbunden bin, dass mir jedoch Maß und Ziel gesetzt sind durch sie selber: Erfüllung wollen sie, nicht Missbrauch und Vergeudung.

Liebe hat mich werden lassen. Liebe hat mich wachsen und reifen lassen, und Liebe, empfangene und geschenkte Liebe trägt mich durchs Leben  –

Wahrheit umgibt mich in der weiten Natur, und mein ernster Wille ist es, ihr dienend näher und näher zu kommen  –

Schönheit erhebt mein Auge und meine Seele, und mein freudiger Wille ist es, ihr offenen Sinnes zu dienen, sie zu entfalten in mir und um mich  –

Gutes zu tun, wo immer es sei, das ist mein heiliger Wille, der unmittelbaren Zugang mit öffnet zu weltweiter Unendlichkeit ohne
Warum und Wozu.

Geborgen weiß ich mich im Sein.

 

 

 

1960     Grundhaltung

der Freien Religionsgemeinschaft Hessen (FRH)

aus: Morgenröte 1/1986

 

Als im Jahr 1960 die Frei-religiöse Gemeinde Offenbach und die Unitarische Freie Religionsgemeinde Frankfurt sich zur Vereinigung der Freien Religionsgemeinschaft Hessen (FRH) zusammenschlossen, stellte die neue Gemeinschaft auf Beschluss der jeweiligen Gemeindeversammlungen beider Kooperationsgemeinden ihrer Satzung folgende Formulierung über ihre religiöse Grundhaltung voraus:

 

Die FRH versteht unter Religion die Ehrfurcht vor Gott als der unerforschlichen ewigen Macht, die sich im Menschen als Gewissen, als Vernunft und als Wille zum Guten und zur Güte offenbart, und damit die Achtung vor der Menschenwürde und den Glauben an die Unzerstörbarkeit des Wesensgrundes des Menschen.

Sie legt sich nicht auf bestimmte Gottes-, Seelen- und Jenseitsvorstellungen sowie auf vorgeschriebene Kultusübungen fest, sie vertritt die unbedingte Glaubens- und Gewissensfreiheit und übt religiöse Toleranz.

Die FRH betrachtet das Christentum nicht als ein fertiges dogmatisches Lehrgebäude und nicht als ein allein selig machendes Erlösungssystem, sondern als eine noch im Fluss befindliche weltgeschichtliche religiöse Bewegung und sieht sich selber als ein berechtigtes fortschrittliches Glied der christlichen Kultur an. Sie erblickt in der rein menschlichen Idealgestalt und in der Verkündigung Jesu, unabhängig von ihrer Geschichtlichkeit, ein lebendiges Vorbild von Wahrheitsmut und umfassender Güte. Sie achtet aber gleichzeitig alle gotterfüllten Meister religiöser Welt- und Lebensweisheit, die durch Beispiel und Lehre die Menschen zu veredeln und dem Ewigen näher zu führen vermögen.

 

 

 

1961    So wird mir Religion

von Richard Radßat

„Der Freireligiöse“, 1961, Heft 6

 

Nur das All, das Ganze, die sinngebende Fülle, das Allganze, Ureine ist ewig, und alles in ihm unterliegt dem Wandel.

Das Allganze schafft, es schafft ewig als Ur in vollkommenen Gesetzen, dass sich verkünde Ordnung und Raum, Harmonie und Gezeiten.

Das Allganze allein nur ist seiend, denn außer ihm gibt es kein Sein.

Es ist einzig seiend aus sich heraus. Alles, was ist, wird durch das Allganze. Es bleibt immer im Ganzen und als Teil von ihm.

Vom Teil nie erfassbar bleibt das Allganze. Alles Erfassbare ist immer nur Teil.

In keinem Teil ist letzter Sinn. Nur das Allganze ist der Sinn jeden Teils, das zugeordnet stets bleibt dem Allganzen. Das Teil ist in allem an das Ganze gebunden.

Nur als Mensch bin ich frei, bin frei, dem Allganzen mich zu entziehen, mich ganz ihm zu weihen, auf Gedeih und Verderb, um ordnend zu wahren die großen Gesetze der Allharmonie.

Dazu ward ich Mensch. Das glaube ich. Das fühle ich, Das weiß ich.

So wird mir Religion. Und das Allganze, das Ganze – Ich nenne es Gott, ich nenne es Ur.

 

 

 

1962    Glaubensbekenntnis

von M.B.

aus: „Der Freireligiöse, Heft 1, Jan./Feb. 1962

 

 

Ich glaube an das Dasein einer Kraft, aus der ich hervor-gegangen bin.

Sie hat ihr Wesen in mir.

Sie ist, was mich treibt zum Werden und Vergehen, zur Selbsterhaltung und zur Erkenntnis der Wahrheit.

Sie ist, was mich fühlen lässt alle Reize und Stimmungen; was mich lieben und hassen lässt und was befähigt, das Gute von Bösen und das Erhabene und Schöne vom Hässlichen zu unterscheiden.

Sie ist, Seele in allen Lebewesen und erhebt sich im Menschen zur höchsten Stufe der bisherigen Entwicklung.

Ich glaube, dass Wahrheit, Ethik und Ästhetik den Sinn
meines Lebens beinhalten, dass ich den Auftrag habe, das Gute zu suchen und für es zu leben.

 

 

 

1962    Was heißt Leben?

von Georg Pick.

 

aus: „Georg Pick: „Freireligiöses Leben“,

Selbstverlag Freireligiöse Gemeinde Mainz, 1962

 

 

Es heißt eingespannt sein in ein kosmisches Geschehen,

es heißt Teil haben an einer aus letzten Gründen kommenden schöpferischen Entwicklung, die in immer neu entflammter Künstlerschaft ordnend und gestaltend unzählige Werke hervorbringt,

es heißt, seinen eigenen Auftrag haben und um ihn ringen, treu in Einsatz und Wagnis,

es heißt, in jedem Augenblick in der Prüfung bestehen

müssen, die die Welt ihren Kindern abfordert,

es heißt, für etwas da sein, das übergreifend ist und in das sich aufzulösen letzte Erfüllung bedeutet.

Das alles heißt Leben.

Darum wissen und es einfügen in seine menschliche Situation heißt freireligiös sein.

 

 

 

1962        Unsere Grundlagen:

Leitfaden für den freireligiösen Jugendunterricht

Freireligiöse Landesgemeinschaft Niedersachsen,

Sonderdruck

3. und veränderte Auflage 1962

 

Auszugsweise Wiedergabe

 

Was uns heilig ist

A.      Wir rufen nicht „Memento mori!“ (Gedenke des Todes), sondern mit Goethe „Memento vivre“ (Gedenke des
Lebens!). Das ist kein Aufruf zum Genießen und Sichausleben, sondern ein Zeugnis für die Heiligung des Lebens, für seine Erhöhung zu einer verantwortlichen
Aufgabe. Die Erfüllung unseres Daseins liegt in der Hingabe an das Nächste. Unsere Religion will nicht erlösen vom Leben, sondern rüsten für unser Leben: denn dieses
Leben ist etwas, von dem wir Ehrfurcht haben, ist etwas heiliges, das heißt ein höchster, einmaliger Wert für jedes Lebewesen.

B.      Heilig ist uns die Natur. Die Welt ist ein Werden, in dem nichts gegen die Naturgesetze geschieht: Diese Ordnung ist uns verehrenswert. Besonders heilig ist die schöpferische Kraft, die in der ganzen Natur wirkt, in den toten
Dingen und in den Lebewesen. Deshalb freuen wir uns über das Leben und achten es überall.

C.      Heilig ist mein Leben. Ich lebe es nur einmal und muss es deshalb sinn- und verantwortungsvoll leben. Unsere
Gemeinschaft feiert seine Höhepunkte: Geburt, Reife, Ehe und Tod.

D.      Heilig sind mir Volk und Menschheit. Familie und Volk sind die Voraussetzung dafür, dass ich leben und mich entfalten kann. Deshalb muss ich mich dafür einsetzen, dass mein Volk edel und gut wird und zur Höher-entwicklung der Menschheit beiträgt.

E.      Unsere Religion ist demnach eine Religion der Heiligung des Lebens, der Lebensfreude und der Lebenskraft. Eine wichtige Zeit in diesem Leben ist die Jugend, in der wir uns bilden und vorbereiten auf das Leben im Dienst an Volk und Menschheit.

Unser vornehmstes Gebot lautet: „Achte die Gesetze des
Lebens, habe Ehrfurcht vor deinem Dasein und handle immer nach deiner Überzeugung!“

 

 

Warum sind wir religiös?

A.      Das Wissen um das Heilige und Allumfassende in der Welt macht uns stark, froh, stolz und tapfer.

B.      In der freien Religion finden wir Kraft, Hilfe, Trost und inneren Halt, wenn wir uns dem Heiligen in uns und in der Welt unterordnen.

C.      Die freie Religion verbindet uns mit allen, die sich für den Sieg des Edlen und Guten in sich und in der Welt ein-setzen.

Kein Mensch ist von Geburt an erbsündig und schlecht, sondern jeder trägt die Anlagen zum Guten wie zum Schlechten in sich. Jeder hat die Stimme des Gewissens in sich, und jeder muss die Kraft aufbringen, ihr zu folgen. Nur wenn wir streng gegen uns selbst sind und immer nach dem Ideal der alten Griechen, dem  Wahren, Guten und Schönen, streben, werden wir den Kampf des Lebens bestehen.

 

 

 

ca. 1965          Ohne Titel

(Unterlagen für Religionsunterricht oder Jugendweihe)

von Dr. Wilhelm Bonneß

 

Freireligiöse Landesgemeinde Pfalz

hektografierte Seiten

. . .

5.      Warum nennen wir uns freireligiös?

Wir stellen uns damit voll bejahend zu einem Begriff, der die freie Selbstbestimmung auf dem Gebiete der Religion und damit auch gegenüber den bestehenden Kirchen und ihren überlieferten Glaubenssätzen sichert. Der Anspruch der Offenbarungsreligion ist damit für uns nicht verbindlich.

6.      Was sagt unsere Landesverfassung über unsere Auffassungen von Religion aus?

In unserer Landesverfassung steht: Wir verstehen unter Religion den Glauben an eine der Welt innewohnende, in ihr sich auswirkende geistige Kraft und damit an einen Sinn und Zweck des Lebens.

7.      Wie können wir diese geistige Kraft nennen?

Diese Kraft können wir auch mit dem Wort „Gott“ benennen. Bild, Begriff und Vorstellung dessen, was man „Gott“ nennt, überlassen wir aber dem persönlichen Bedürfnis, Denken und Empfinden des Einzelnen. Auch das ist in der Verfassung festgehalten.

8.      Vor mehr als 100 Jahren wurden die „Magdeburger Grundsätze“ auf einer freireligiösen Bundesver-sammlung verfasst. Wie heißen einige?

Wir wollen eine Gemeinschaft sein, die die Pflege der
Religion und der Sittlichkeit bezweckt. Parteipolitik,
Konfessionalismus und Sektendenken ist bei uns ausgeschlossen.

Was führt uns?

Wir sehen die Vernunft als die oberste Richtschnur für
alles menschliche Denken und Handeln an. Wir können auch in religiöser Hinsicht nur das erkennen, was sich auch vor der Vernunft als wahr erweist.

Was achten wir?

Wir achten deshalb die Wissenschaften und sind stets
bereit, uns mit ihrer Hilfe in unserer religiösen und sittlichen Erkenntnis weiterzubilden.

Was lehnen wir also ab?

Von einem Gott in Person wissen wir nichts und lehnen
darum einen solchen Gottesglauben ab. Besonders
verwerfen wir den Aberglauben, der zur Gesetzmäßigkeit der Natur im Widerspruch steht und dem vernünftigen Denken widerspricht.

Was ist uns Religion?

Religion ist uns die innerste Angelegenheit des menschlichen Herzens, Denkens und Tuns. Deshalb lehnen wir
jeden Glaubens- und Gewissenszwang ab.

9.      Sind wir deshalb gottlos?

Wir sind nicht gottlos, auch wenn wir den christlichen Gottesbegriff nicht aufnehmen. Das Christentum ist für uns eine Religion unter anderen, und die Gottesbegriffe sind selbst bei den Offenbarungsreligionen sehr verschieden und widersprüchlich.

10.  An welchen Gott glauben wir also nicht?

Wir glauben nicht an einen persönlichen Schöpfergott, der im Himmel wohnt, uns vom Leben erlöst oder uns in die Hölle verdammt.

11.  Was lockt uns also nicht?

Wir lassen uns nicht auf ein Jenseits verweisen. Wir wollen auf dieser Erde nach dem Guten streben und uns hier
bewähren. Das Gute, das wir wollen, können wir nur durch unser eigenes sittliches Streben erreichen.

12.  Von hier aus gesehen ist unsere Religion was?

Von hier aus gesehen ist unsere Religion Glaube an das Gute und Wille zum Guten, Wahren und Schönen.

13.  Wie können wir das noch sagen?

Wir können sagen: Wir bekennen uns zur Idee des Göttlichen. Damit meinen wir die Idee des Wahren, Guten, Schönen, die Idee der Freiheit, der Humanität und der Gerechtigkeit.

14.  Wie bezeichnen wir einfach und schlicht diese Ideen?

Wir sehen in ihnen Richtwerte unseres Lebens, denen wir uns verpflichtet fühlen. Ihnen zu dienen, ist für uns Gottesdienst.

15.  Was bedeutet also für uns die Aussage: Wir haben Religion?

Wir anerkennen damit die auf Ehrfurcht und Vertrauen beruhende Bindung des Menschen an das Leben und das daraus entspringende sittliche Verantwortungsbewusst-sein.

. . .

27.  Wenn wir eine Aussage machen wollten über das, was wir letzthin glauben, dann können wir es mit alten Versen tun. Wie heißen diese?

Wir glauben an ein Ewiges im All und im Menschen, das ist Geist und Kraft, Gesetz und Ordnung. An die Bestimmung des Menschen zur Vervollkommnung durch des Ewigen Geist und Kraft in ihm. An seine Befreiung aus Niedrigkeit und Schuld durch das innere Einswerden mit dem ewig Guten. An eine höhere Entwicklung der Menschheit durch des Menschen Opfertat. An ein Reich des Friedens, das ihm die Erde zur Heimat macht und erfüllt ist von Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe.

. . .

 

 

1966    Arbeitsgemeinschaft Freie Religion

Textauszug

Aus einer von Dr. Georg Pick für die IARF (International Association für Liberal Christianity and Religious Freedom) [Internationale Vereinigung für liberales Christentum und religiöse Freiheit] verfassten Beschreibung der „Arbeitsgemeinschaft Freie Religion

[ = Frei-religiöse Gemeinde Offenbach, Freie Religionsgemeinschaft Rheinland, Religionsgemeinschaft Freie Protestanten Alzey]

 

... Alle drei Organisationen stimmen in ihren religiösen Grundsätzen überein. Sie betrachten Gott als den unerforschlichen schöpferischen Urgrund alles Seins und erkennen ihn als den Ordnungs- und Gestaltungswillen, der die Welt durchwaltet und sich in der Natur wie in der Welt des Geistes offenbart. Indem der freie religiöse Mensch dieser Richtung, den Idealen der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Schönheit und der Liebe, nachstrebt, weiß er in sich selbst den
Gottesgeist wirksam, der alles Dasein trägt, und die Religion selbst wird ihm, wie der freireligiöse Philosoph Arthur Drews formuliert hat, „Selbstbewusstsein Gottes“. Indem die Anhänger dieser Richtung die unmittelbarste religiöse Offenbarung in sich selbst erblicken, stellen sie die Bildung ihrer religiösen Anschauungen auf ihr persönliches Gewissen. Damit ist keine Willkür gegeben. Denn mit der Betonung der Gewissensfreiheit verbindet sich die Forderung der Wahrhaftigkeit angesichts des Weltbildes, das die Wissenschaft auf dem Gebiet der Natur wie der Religionsgeschichte erarbeitet hat. Diese religiöse Richtung distanziert sich also von den traditionellen Religionen durch die Ablehnung aller Vorstellungen, die mit unserem heutigen wissenschaftlichen Gesichtskreis in Widerspruch stehen.

Andererseits fühlen sie sich der religiösen Vergangenheit gegenüber tief verpflichtet, vor allem den Weltreligionen und den großen philosophischen Leistungen der Menschheit, denen sie ihren Ideenschatz verdankt. Sie erblickt in allen Religionen echte Offenbarungen, die allen Menschen gelten, und glaubt deshalb, dass jede von ihnen, wenn sie sich von unzulänglichen Vorstellungen befreit und zu reiner Gerechtigkeit erhebt, in einer freien Religion münden muss, in der die Verschiedenheit der einzelnen geschichtlichen Ausgangspunkte wie Christentum, Islam, Judentum, indische Glaubensformen, Konfuzianismus uns Shintoismus geringfügig werden. ...

 

 

1966     Wir glauben

aus: „Morgenröte, Nr. 1, 1986

 

Ende Januar 1966 trafen sich auf einer Tagung in Auerbach mehrere freireligiöse Pfarrer und Prediger zur Besprechung religiöser Grundsatzfragen, wobei folgende gemeinsame Standortbestimmung entstand:

 

Wir glauben

an das Wirken des Göttlichen, die schöpferisch wirkende Kraft, die sich im Menschen und in der Welt offenbart,

an die Botschaft Jesu und anderer Propheten von der erlösenden Macht der Liebe, die danach strebt, das Unvollkommene zu überwinden,

an das Fortleben des Menschen durch sein Tun und

an die Verpflichtung, die Wahrheit in Freiheit und durch Vernunft zu suchen und sie in der Gemeinschaft zu verwirklichen.

 

 

 

1968      Grundgesinnung, Glaubensüberlieferung und Gemeindebegriff

der Frei-religiösen Gemeinde Offenbach im 1968 gegründeten

Verband freier Religionsgemeinschaften

 

aus: Max Gehrmann:

„Geschichte der Freireligiösen Gemeinde in Offenbach“,

Herausgegeben vom Offenbacher geschichtsverein, 1968

 

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Das ist ihre Grundgesinnung:

Religion ist als seelische Haltung Ehrfurcht vor dem Ewigen als dem Urgrund allen Seins. Sie wirkt in dem Bemühen um letzthin gültige Werte. Es ist gleichermaßen, herkömmlich genannt, die Ehrfurcht vor Gott. Das Wesen des Ewigen ist unerforschlich und deshalb, da jede Aussage menschlich bedingter Erkenntnis unzureichend bleiben muss, nur in Sinnbild und Gleichnis zu erahnen und zu deuten.

Offenbarung des Ewigen in der Welt ist die wunderreiche Schöpfermacht des Lebenswillen, der die Einheit alles Lebenden bewirkt, im Menschen ist es die Liebe. –

Die Harmonie mit dem Ewigen zu verwirklichen in Ehrfurcht vor dem Leben, besonders in Achtung vor der Menschenwürde, in allumfassender Liebe und Gemeinschaftsgeist, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, sowie in Arbeit am Aufbau der Kultur und Gesellschaftsordnung in unbedingter Friedfertigkeit – das ist der heiligende Sinn, den wir gegenüber unbegreif-lichem Sinnlosen der Welt unserem Dasein selber zu geben vermögen.

Diese Sinngebung bezeichnet zugleich unseren Glauben, dessen Bekenntnis die Tat ist. Durch das Vertrauen, mit dem Ewigen in Geist und Wille eins zu werden, begnadet der Glaube mit dem Gefühl der Geborgenheit, stimmt zur Lebensfreude, lehrt maßzuhalten im Glück, so wie er Kraft und Trost spendet in der Anfechtung des Leides, weckt unaufhörlich die Hoffnung, dass durch die Macht der Liebe Erlösung von der Schuld des Bösen zu erreichen sei, lässt uns den Tod bestehen in der zeitlebens gehegten Zuversicht, dass in Liebe bei aller Vergänglichkeit die Gewähr der Dauer begründet sei, dass im Wesensgrunde das Ewige fortwirke, Unsterblichkeit gewonnen werde.

 

 

 

1975     Freireligiös  -  Grundsätze einer modernen Religion

Informationsblatt der

Freireligiösen Gemeinde Wiesbaden,

K. d. ö. R., gegr. 1845

 

 

 

Was heißt freireligiös?

Wir nennen uns freireligiös – das heißt frei in der Religion – weil wir keine unantastbaren Lehrsätze oder Glaubensartikel haben, also an kein Dogma gebunden sind. Für uns besteht Religion nicht in der Übernahme irgendwelcher erstarrter und lebensfremder Glaubensüberlieferungen, die mit der Vernunft im Widerspruch stehen, sondern wahre Religiosität muss ihren Ausdruck finden im Streben des Menschen nach einem sinnvoll erfüllten Leben.

Unsere freireligiöse Überzeugung ist erwachsen aus der Humanitätsidee und dem Glauben an die Menschenwürde; deshalb stehen wir auf dem Boden der Freiheit, der Vernunft und des Gewissens. Der Mensch soll seine Glaubenshaltung aus eigener Selbstverantwortung bestimmen.

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Religion und die Frage nach Gott

Religion ist die innerste und persönlichste Angelegenheit eines jeden Menschen. Deshalb lehnen wir Glaubens- und Gewissenszwang ab, ebenso wie Konfessionsfanatismus und Sektendenken. Aus Einsicht soll der Mensch urteilen und entscheiden. So erschließen wir ihm zugleich den Weg in die Freiheit und fördern die Bildung persönlicher Reife.

Es gibt viele Wege der Deutung unseres Lebens und ebenso viele Möglichkeiten einer Weltschau. Daher üben wir Toleranz gegenüber Andersdenkenden, denn nur so kann das wahre Verständnis für jede religiöse Überzeugung erwachsen. Wir suchen das Höhere und Menschlichere im lebendigen Sein und geben dem die Hand, der mithelfen will dies zu erreichen. 

Wir suchen den Weltgrund, die Allkraft, das Absolute – oder wie immer wir das nennen wollen, was wir als letzten Wesensgrund des Seins betrachten – nicht in einem außerweltlichen Prinzip oder gar in einem Gott. Wir glauben an eine natur- und geistdurchdringende Macht, die in der erfassbaren Welt sich offenbart und alles mit Leben erfüllt.

Der Mensch ist ein Teil dieser Welt. Für uns sind Gott und die Welt keine getrennten Begriffe wie beim Christentum, sondern bilden eine Einheit. Deshalb kennen wir auch keinen Gegensatz zwischen Leib und Seele, Natur und Mensch sowie Gott und Mensch.

Der Urgrund der Welt ist für uns unerkennbar. Dennoch drängt es uns, das Ewige, Unendliche und Unerforschliche irgendwie zu bezeichnen. Wir nennen dieses alles Durchdringende die ewige Schöpferkraft. Durch diesen Begriff wird die Vorstellung von einem persönlichen Gott überwunden.

 

Tod und Unsterblichkeit

Das Weltall wird beherrscht von dem Gesetz ewigen Werdens und Vergehens. Dieser universalen Wirksamkeit ist auch der Mensch unterworfen. Nach seinem Tode kehrt das Sterbliche und Vergängliche in den Schoß der Natur zurück, sich wandelnd zu neuen Formen künftigen Daseins.

Der geistig-seelische Wesenskern kann jedoch nicht verloren gehen; denn jeder Mensch hinterlässt eine Erdenspur, die um so nachhaltiger ist, je größer das Bemühen war, Wertvolles zu schaffen, Gutes zu tun und selbstlose Liebe zu schenken. Sind wir dieser hohen ethischen Forderung nachgekommen, dann wissen wir, dass wir nach unserem Tode geachtet im Gedächtnis unserer Mitmenschen weiterleben werden. Das Körperliche sinkt dahin, aber unsere einstige Wirksamkeit bleibt erhalten durch die Fortdauer unserer Werke, vor allem aber durch die Kraft der Liebe, die uns über den Tod hinaus mit geliebten Menschen verbindet.

Für uns gibt es kein Fortleben nach dem Tode in irgendeinem Jenseits, sondern wir sind dessen gewiss, dass uns dieses Leben geschenkt worden ist, damit es durch unser persönliches Ringen und Streben nach den höchsten Menschheitsidealen seinen tiefsten Sinn erhalte.

 

 

 

1977     Grundzüge freier Religion

von Fritz Hermann

Aus „Der Humanist“, Nr. 3, 1977

 

Vorbemerkung

Kaum ein Wort ist in seinem Bedeutungsinhalt so umstritten wie der Begriff „Religion“. Einmal ist er Ausdruck höchster
„Erkenntnis“ und innerer Erfahrung, ein andermal weckt er Unbehagen und Ablehnung wegen seiner Vieldeutigkeit oder wegen dogmatischer Verhärtung. Das Wort „Religion“ teilt dieses Schicksal bei näherem Zusehen jedoch mit vielen anderen Begriffen, deren Bedeutung außer Frage steht: Was unter "Kunst" zu verstehen sei, was unter "Recht", "Sittlichkeit", "Mündigkeit“, „Liebe“ u.ä. ist kaum schärfer zu umreißen, als dies – menschheitsgeschichtlich gesehen – für „Religion“ möglich ist.

Dennoch oder gerade darum hat es zu keiner Zeit an Bemühungen gefehlt, dem Wesen des Religiösen auf die Spur zu kommen und in ihm die Quelle humaner Gesinnung und Sinngebung zu suchen und zu finden.

„Religion“ wird damit zum Ausdruck eines Strebens nach innerem Frieden, nach Geborgenheit und nach Lebenserfüllung. Solches Streben ist dem Menschen aus der evolutionären Entwicklung zugewachsen – es ist anzunehmen, zu bejahen, und um seine Verwirklichung bemüht zu sein, macht seinen Wert und seine Würde aus.

Die folgenden Aussagen wollen Anstoß sein, den Fragen einer humanen Religiosität näher zu treten, sie zu überdenken und ihnen als „Freie Religion“ Raum zu schaffen.

11 Thesen zur Klärung und Zielsetzung

1.      Religion ist neben Wissenschaft und Kunst ein Grund-phänomen menschlichen Seins. Als solche hat sie für den Menschen eine unmittelbare, existenzielle Bedeutung:
religiöse Erfahrungen und Erlebnisse binden, fordern und geben Halt.

2.      Religion bedeutet Erkenntnis und Anerkennung der Tat-sache, dass alles Sein aus unbekanntem Ursprung stammt und sich auf ein unbekanntes Ziel hin bewegt.

3.      Religion beinhaltet die Erkenntnis und Anerkennung, dass das menschliche Leben als unlösbarer Teil des Weltganzen einer Sinngebung bedarf, die nur der Mensch selbst vollziehen kann.

4.      Religion bedeutet die Kraft, dem Leben mit seinen Erschütterungen durch Leid, Not und Tod und mit seinen Erhebungen durch Freude, Frohsinn und Begeisterung Inhalt und Form zu geben.

5.      Religion ruht auf den Grundpfeilern Wahrheit und Güte, Recht und Sittlichkeit und auf dem Wissen, dass diese
allein im Menschen selber ihren unmittelbaren Ort haben.

6.      Religion wirkt überall da, so sich der Mensch verantwortlich fühlt für die Überwindung naturhafter oder gesellschaftlicher Not, wo immer ihm solche begegnet.

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1981    Glaubensbekenntnis

von Friedrich Röben

aus: „Der Humanist“,

Nr. 1, Januar 1981

 

 

Ich glaube, dass die allmächtige Schöpfungskraft nicht von einem überirdischen Wesen ausgeht, sondern in der Welt selbst liegt und mit ihr untrennbar verbunden ist. Somit sind auch die früheren göttlichen Attribute des Ewigen und Unendlichen Eigenschaften der Welt selbst. Der Kosmos selbst ist ewig und unendlich.

Und aus diesem kosmischen Schöpfungswillen ist unter anderem auch der Mensch entstanden, von anscheinend lebloser Materie über Pflanze und Tier zum Menschen, eine Entwicklung, die noch nicht zu Ende ist. Denn dauernde Veränderung ist Sinn und Zweck des Lebens und des ganzen Alls, wobei eine deutliche Tendenz zu einer Höherentwicklung festzustellen ist, zum immer Schöneren und besser Angepassten, an ein nie erreichbares, mystisches Fernziel. Von diesem mystischen Walten, das schon in unserer Brust beginnt, ist die ganze Welt durchzogen und gibt auch der Religion ihre Bedeutung.

Mein Glaube an den Menschen ist nicht einheitlich; es überwiegt die Hoffnung auf eine weitere Bewährung des Guten. Aus seinem natürlichen, angeborenen Hang zum Gemeinschaftsleben hat er in der Zeit seit seiner entwicklungsbedingten Absonderung vom animalischen Bereich immer größer werdende Gemeinschaften, wie Stammesgemeinden, Staaten, Reiche gebildet, mit Einordnung unter ein gemeinsames Recht, in gegenseitiger Hilfeleistung. Dies ist ein Zeichen für hohe moralische und ethische Qualifikation in der Vergangenheit.

Nach Entdeckung von Sprache und rationalem Denken hat er seinem unbewussten Wunschempfinden bewusst Ziel und Richtung gegeben, hat Wissenschaft und Technik entwickelt und ist so zu einer überragenden Erscheinung im Kosmos geworden. Und dies alles aus seiner Natur heraus, ohne
Unterstützung eines überirdischen Wesens.

Das auch die zwischenstaatlichen Beziehungen sich soweit verbessern mögen, bis die ganze Menschheit ohne blutige Kriege eine Einheit geworden ist, ist ein Wunschtraum meiner Generation.

Zur Erreichung dieses Zieles möge der Menschheit noch Zeit und Gelegenheit gegeben werden. Dass sie diese nutzen wird, ist meine Zuversicht und mein Glaube.

 

 

 

1981      Religiös

von Irma Grote

aus: „Der Humanist“,

Nr. 8, August 1981

 

Religiös

in mir jene Kraft,

die mir jeden Tag

das Leben schafft:

 

Eine Quelle

speiset dich und mich,

Vogel, Baum und Blume

sicherlich - .

 

Sei`s in Freude,

sei`s im Überwinden,

sei`s im Grübeln

und Gedankenfinden.

Doch du kannst die Augen

blind verschließen,

fühlst kein Strömen,

kein Vorüberfließen.

Tot bist du,

auch wenn du weiterlebst.

 

Jener Vogel zwitschert

auf dem Zeig,

voll vom Zauber

dieses Sonnenmorgens.

 

Stoß die Türen auf

und schaue dich um,

lass das Leben ein

und bleib nicht stumm.

 

Jener Baum voll Knospen

lässt mich ahnen,

wie die Kraft im Saft

hinaufgetrieben.

 

Dann gehst du gelassen

deinen Weg,

stehst ergriffen

vor dem Wunderbaren.

 

Das zu wissen,

staunend und beglückt,

und der Kraft vertrau´n,

die in mir ist

und aus gleicher Quelle

quillt wie jene - .

Leid und Freude

wirst du tief erfahren,

solange noch dein Herz

in Liebe schlägt - .

 

 

 

1982    Warum ich mich „frei-religiös“ fühle

von Irma Grote

aus: „Der Humanist“,

Nr. 6, Juni 1982

 

Religion ist für mich: was mich im Innersten bewegt, was mich zutiefst angeht, was mir wesentlich ist.

Wichtig ist: Ich muss mich selbst entscheiden.

Mir hilft kein Dogma, keine Vorschrift, kein Gebot.

Ich fühle mich als Teil des Universums und bekenne mich zum gemeinsamen Leben mit Mitmenschen, Tieren und Pflanzen.

Eine Weltanschauung kann ich mir bilden. Sie wird weit-gehend von meinem Verstand geprägt sein. Religiosität dagegen ist mein innerstes Anliegen und zwingt mich zur Entscheidung und zum Handeln.

Ausschlaggebend für mein Handeln ist mein eigenes Wertesystem, nicht die Moral der Gesellschaft, noch das Dogma einer Kirche und auch nicht ein, meiner Auffassung nach ungerechtfertigter Paragraf eines Staatsgesetzes.

Kunst in jeder Form kann sehr wohl mit Religion zu tun haben, wie auch Arbeit, Liebe, Mitmenschlichkeit und anderes. Es kommt dabei einzig auf die Motivation des Menschen an.

Dieses Motiv, meine Lebensmelodie, will ich mir von nichts und niemand vorschreiben lassen. Es kommt, das ist mein fester Glaube, aus meiner eigenen Mitte, deren Tiefe im Ursprung der Dinge wurzelt, die das Prinzip für das Werden und Vergehen des Lebens ist.

Eine große Ruhe überkommt mich, wenn ich wirklich und wahrhaftig verstehe und fühle, dass ich ein Teil vom Grenzenlosen bin. Was ich denke, wo ich gehe, was mir widerfährt – immer bin ich ein Teil des Seins, dessen Gesetze ich achte.

Aus dem Gefühl der Verbundenheit mit allem Lebendigen wächst mir Verantwortung, Liebe und Kraft!

Damit verschwindet die tödliche Vereinsamung, die zu Angst, Depression und Sinnlosigkeit führt.

Es ist unnütz, die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ zu stellen. Es stört mich nicht, dass solches Fragen keine Antwort findet. Im Gegenteil, eine letzte Unsicherheit vertieft mein Lebensgefühl. Es braucht nicht alles rational aufzugehen.

Ich freue mich der Sonne, ohne die auf unserer Erde kein Leben möglich ist, und ich stehe staunend und ehrfürchtig vor dem Geheimnis des Lebens, das sich in so vielfältiger Form und Farbe in Schönheit vor meinen Augen auftut.

Ich sehe zugleich die von Menschen verursachte Zerstörung, die sie, weil sie Naturgesetze nicht genügend beachten,
heraufbeschworen haben.

Sollten wir Menschen nicht die Kraft aufbringen, je nach unserer Veranlagung, in unserer Art dazu beitragen, unsere Erde und unser Zusammenleben auf dieser Erde menschenwürdiger zu gestalten?

Auch das ist Religion.

Packen wir es an.

 

 

 

1985    Liberale Religiosität

von Dr. Heinz Schlötermann

aus: „Morgenröte“,

Nr. 3,1985

 

Liberalismus: Kein Ladenhüter des 19. Jahrhunderts

Innerhalb unserer gegenwärtigen Zeit scheint das Wort „liberal“ wieder an Bedeutung zu gewinnen, nachdem es jahrzehntelang als ein überholtes Relikt des 19. Jahrhunderts angesehen wurde. Wir haben Zeiten erlebt, in denen der Liberalismus als verwerflicher Irrweg erschien, weil er im 19. Jahrhundert zu einem wirtschaftlichen Freibeutertum geführt hatte. Die Nachwehen dieser Entwicklung können wir heute noch allenthalben beobachten, wenn wir im wirtschaftlichen Bereich verantwortungsloses Handeln dem Einzelnen wie der Gesamtheit gegenüber feststellen müssen.

Dennoch wäre es falsch zu meinen, der Liberalismus sei nichts anderes als ein „Ladenhüter“ des 19. Jahrhunderts, und es wäre demgemäß endlich an der Zeit, das gesamte liberale Gerede aufzugeben. Nein: im Liberalismus steckt ein geistiger Kern, den zu verteufeln nicht nur eine Gefahr für die Menschheit, sondern ebenso stark für die Entwicklung des einzelnen Menschen als Menschen bedeuten würde.

 

Die Freiheit betreffend

Das Wort Liberalismus wird vom lateinischen Wort „liberalis“ abgeleitet, was bedeutet: „die Freiheit betreffend“. Es geht also im Liberalismus um die menschliche Freiheit, um unser ganz persönliches Frei-Sein innerhalb dieser unserer Welt und Gesellschaft. Wer aber möchte diese Freiheit für sich und seine Entfaltung nicht? Wer möchte als Unfreier, als Sklave sein Dasein leben? Die Antwort ist einfach: Niemand! Wir alle sehnen uns danach, uns frei entfalten und entwickeln zu können, uns selbst in Freiheit zu verwirklichen. Aber wir wissen auch, mit welchen Schwierigkeiten solch ein freies Leben verbunden ist. Wir leben eingekerkert in lauter Zwänge und müssen uns ständig wehren gegen diejenigen, die unsere Freiheit beschneiden. So ist es schon selbstverständlich geworden, von der Selbstentfremdung des Menschen zu sprechen. Das bedeutet: wir können nicht so leben, wie es unserer Eigentlichkeit entspricht, wir können nicht selbst entscheiden – andere entscheiden für uns.

 

Selbst-Entscheidung, Selbst-Entwicklung

Aber ich möchte nicht missverstanden werden: wenn ich von Selbstentscheidung des Menschen spreche, so verstehe ich darunter nicht irgendeine egoistische Entscheidung, die dem Ich des Einzelnen entspringt; denn das Ich ist entstanden im Wechselspiel der menschlichen Person mit der Umwelt. So gehe ich als individuelle Person meiner täglichen Arbeit nach, ich vergnüge mich, und ich fahre in Urlaub. Aber hiervon zu unterscheiden ist mein „Selbst“, meine Eigentlichkeit, mein Wesen. Und so verstehe ich unter Liberalismus die Entwicklung dieses „Selbst“, dieser Eigentlichkeit, die nichts anderes ist als das schöpferische Prinzip des Lebens selbst, das in mir zur Wirklichkeit drängt.

Frei sein bedeutet also, sich seines ursprünglichen Wesens bewusst zu werden, dem im Menschen anwesenden Sein zu folgen. Mit anderen Worten: die primäre Wurzel meines Handelns liegt nicht in der Umwelt oder der Gesellschaft begründet, der ich angehöre und in der ich meinen Platz ausfülle, sondern in der Tiefe meines Wesens, im letzten Urgrund meines Daseins, in dem ich über das Dasein hinaus das im Dasein anwesende Sein ergreife.

 

Gott, die Tiefe des Selbst

Die Sprache der Religion nennt dieses Sein „Gott“, das Unnennbare. Ich kann es nicht mit weiteren Worten oder Begriffen beschreiben oder umschreiben: es ist ein unbegreiflichen Mysterium im Grunde meines Lebens, ein Ruf aus der Tiefe, die ich nicht kenne und kennen kann. Allein im Zustand der Versenkung in mich selbst, in den Kern meiner Persönlichkeit, vermag ich mich diesem Mysterium zu nähern, das von Meister Eckhart als Lichtfunke bezeichnet wurde.

Ich will damit sagen: in mir selbst, in einem jeden von uns brennt ein schöpferisches Urlicht, ein Urfeuer, dem ich mein Leben verdanke und in dem ich gründe.

Aufgabe liberaler Religion ist es nun, den Einzelnen an dieses Urlicht zu weisen, dem Menschen zu helfen, die Verbindung zur eigenen Tiefe herzustellen. In diesem Sinne ist „liberal“ kein Ladenhüter des 19. Jahrhunderts, sondern im Gegenteil: eine ewige Aufgabe, die restlos zu erfüllen wohl keinem von uns möglich ist.

An diesem Punkt rückt auch das Wort „Autonomie“ wieder in unseren Blick; ich verstehe hierunter die Selbstgesetzgebung des Menschen, d.h. den Versuch, sich selbst die Gesetze seines Handelns zu geben. Verstehen Sie bitte diese Selbstgesetzgebung nicht als eine Gesetzgebung des individuellen Ich, als wolle ich den Menschen aufrufen, außerhalb der staatlichen Gesetzgebung nach eigener Willkür zu leben. Im Gegenteil: Selbstgesetzgebung bedeutet Gesetzgebung durch das Selbst. Gesetzgebung von innen. In diesem Akt bin ich mir selbst, meinem Wesen verantwortlich, dem Urlicht im Grunde – oder dem, was wir Gott nennen.

Seien wir uns klar darüber: Gott und Selbst sind keine Gegensätze, sondern eine qualitative Einheit. So wird die Autonomie zur Theonomie, d. h. nicht, ich gebe mir als individuelle Person die Gesetze meines Handelns, sondern indem ich mich in mich selbst versenke, bin ich Eins mit dem, was Gott genannt wird, und so lebt Gott in der Tiefe meines Selbst als Gesetzgeber – jedoch nicht als ein von außen eingedrungener Fremdling: im Gegenteil: Gottes Eigentlichkeit ist meine Eigentlichkeit, Gottes Wesen ist mein Wesen. Wir dürfen hier keinen Unterschied machen zwischen dem Sein Gottes und dem Sein des Menschen; er ist in allem, und ich bin alles in allem. Er ist das Urfeuer, das in mir brennt, ungeschieden von einem jeden von uns.

In dieser Tiefe wurzelt auch das Gewissen, als die Stimme des Selbst, als die autonome-theonome Mahnung an uns selbst, ihr zu folgen und in ihr zu gründen bleibt vornehmste Pflicht.

 

Ewige Aufgabe Freier Religion

Mit all diesen Hinweisen auf liberale Religiosität ist zugleich die Bezeichnung unserer Religionsgemeinschaft als „Freireligiös“ erklärt. Ich weiß, dieses Wort wird oft missverstanden und Unkundige deuten es als „frei von Religion“. Aber dies ist ein grundsätzliches Missverständnis. Arthur Drews stellte bereits 1917 in seiner kleinen Schrift „Freie Religion“ fest:

„Freireligiös sein heißt nicht frei von Religion, sondern Anhänger einer freien Religion zu sein. Frei aber ist die Religion, sofern sie, unabhängig von allen überkommenen, durch Überlieferung und Kirche geheiligten, vom Staate begünstigten so genannten positiven oder historischen Religionsformen, auf die alleinige Betätigung des dem Menschen angeborenen religiösen Bewusstseins oder des wesentlichen Kernes alles religiösen Lebens abzielt.

Die Freie Religion ist eine Religion der Freiheit oder der Selbstbestimmung, nicht nur, indem sie, entgegen dem Zwange der kirchlichen Religionen, es dem freien Ermessen eines jeden anheimstellt, sich ihr anzuschließen oder nicht, sondern auch in dem Sinne, dass sie es für ihre wesentlichste Aufgabe ansieht, ihre Angehörigen zu innerer religiöser Freiheit zu erziehen.“

Wenn wir diese Worte recht bedenken, müssen wir erkennen, wie weit wir heute noch von den ursprünglichen Forderungen des Liberalismus entfernt sind. Der theologische Liberalismus hatte sich im 19. sowie im beginnenden 20. Jahrhundert in den Gedanken gerettet, freiheitliche theologische Forschung sei der zu erfüllende Programmpunkt des Liberalismus. Nachdem freiheitliche theologische Forschung keine noch zu erringende Aufgabe für die Zukunft sei, sondern ihre Erfüllung weitgehend gefunden haben, könne man den Liberalismus getrost zu Grabe tragen.

Auch hier liegt ein grundsätzliches Missverständnis vor. Freiheit der Forschung und der Lehre ist nur eine Vorbedingung, um den geistig-religiösen Liberalismus verwirklichen zu können. Es bleibt das Problem der Autonomie, die religiös zwar in eine immanente Theonomie [theonom: unter Gottes Gesetz stehend] mündet und durch sie ihre Erfüllung erfährt, aber als solche nicht aufgehoben werden kann.

 

 

Freie Religion: nicht Naturreligion, sondern geistige Religiosität

Wer davon spricht, das Selbst sei ein ihm unverdientermaßen Geschenktes, geht an der liberalen Religion vorbei. Der göttliche Lichtfunke in der Tiefe meines Seins kann mir nicht von einem anderen geschenkt werden. Wer sollte dieser andere sein? Wenn Gott als Wesentlichkeit in der Tiefe des Alls erkannt worden ist, als immer wieder aufflammendes Urfeuer, so ist alle Welt in ihrer sichtbaren Erscheinung nichts anderes als das Dasein dieses Gottes selbst, der nicht von außen in das irdische Geschehen eingreift, sondern ein innen wirkendes Prinzip ist. Es wäre deshalb besser, wir würden nicht mehr sagen: DER GOTT, sondern DAS GOTT beziehungsweise DAS GÖTTLICHE. Jedoch wäre es andererseits wiederum falsch, das Göttliche als ewige Schöpfungsmächtigkeit mit der Welt in ihren vielfältigen Erscheinungen gleichzusetzen.

Hüten wir uns vor einer materialistischen Interpretation des Liberalismus. Ebenso wie es unrichtig ist zu sagen, alles ist Materie, so ist es wahrheitswidrig zu behaupten, alles ist Gott. Nein: vergessen wir die alte These „Gott gleich Natur“!

Die freie Religion ist keine Naturreligion, im Gegenteil: eine geistige Religiosität, in der sich der Mensch nachsinnend seines eigenen Ursprungs bewusst wird.

 

 

Nachsinnend Gott entfalten

Wir müssen besonderen Wert auf diese im Akt des Nachsinnens entstehenden Bewusstseinsprozess legen; denn nur der Mensch besitzt Religion – weder pflanzliches noch tierisches Dasein haben ein solches Bedürfnis und können sinnend in die Tiefe ihrer Eigentlichkeit dringen.

So können wir – einem alten indischen Spruch folgend sagen: erst im Menschen erwacht Gott zu sich selbst.

Mit anderen Worten: Gott ist immer ein werdender Gott, den wir deshalb mit dem Wort „urschöpferische Wirkkraft“ nur sehr unzureichend beschreiben. Im Menschen erweist sich, dass Gott über alle evolutionäre Entwicklung hinaus zum Sinn des ganzen Weltgeschehens aufsteigt. Im Denken des Menschen denkt Gott sich selbst: so ist das sinnende Denken des Menschen ein göttliches Denken und umgekehrt.

Dies gibt dem ganzen Weltgeschehen seine besondere Bedeutsamkeit: das Werden des Kosmos ist ein immer höher steigender Prozess von niedrigsten Formen im anorganischen Gebiet bis hin zum jetzigen Menschen. Wir können dieses Werden heute naturwissenschaftlich erklären und deuten – aber dann tritt im Menschen der Augenblick auf, da ein Wesen sich der evolutionären Entwicklung bewusst wird und fragend vor dem Wunder dieses ewigen Werdens steht. Vieles erscheint ihm sinnlos zu sein, bis er das All als Kosmos, d.h. Ordnung begreift, in der keine Gesetzlosigkeit herrscht, sondern jede Erscheinung bestimmten Gesetzen unterliegt.

 

Auftrag des Menschen

Wie von einem Blitz der Erkenntnis getroffen, beginnt der Mensch jetzt nachzusinnen, um denkend das Ganze zu erfassen und zu begreifen. Und siehe da: er scheitert! Als endliches Wesen kann er die Unendlichkeit des Kosmos nicht in den Griff bekommen, es bleibt ihm nur eines: sich zu bescheiden und sinnend in die Tiefe seiner Eigentlichkeit zu dringen, zu horchen, zu lauschen, um jedes Sein zu vernehmen, das in allem Werden gegenwärtig ist. Also vernimmt nun Gott sich selbst. Zum ersten Male sieht er sein Werk und es beginnt in ihm die Erkenntnis der großen Verantwortung aufzusteigen, die er dem Menschen als Teil seines Selbst auferlegt hat.

Oder anders ausgedrückt. Der Mensch vernimmt etwas von seiner eigenen göttlichen Verantwortung; er ist nun der Berufene, diese Welt in ihrer Evolution zu steuern und zugleich dem Selbst zu dienen. Er wird zum Diener am ewigen Werk der Schöpfung. Er muss sich nun hüten, egoistisch allein an sich zu denken oder zu meinen, seine Aufgabe sei allein ein Dienst an der Gesellschaft. Nein: die Gesellschaft ist – wie der Einzelne – nur eine egoistische Interessensgemeinschaft. Sich an die Gesellschaft allein zu binden, würde zum Untergang der gesamten Menschheit führen.

Hier beginnt nun die Aufgabe der Religion, und zwar einer liberalen Religiosität, die frei ist der Gesellschaft gegenüber und die den Einzelnen aufzurufen hat, aus sich selbst zu leben, dem Gott in sich zu dienen und allein der Stimme seines Gewissens zu folgen. Wir sollen – dem Zeitgeist entgegengesetzt – nach dem Wort Eckharts leben:

„Greift in euer eigen Gut;

ihr tragt doch alle Wahrheit wesentlich in Euch.“

 

 

 

1989    Was heißt freireligiös?

Informationsschrift,

Freireligiöse Landesgemeinde Württemberg, K.d.ö.R.

 

 

Religion bedeutet sorgfältig überdenken, nachdenklich sein angesichts einer wichtigen Sache. So erklärt uns Cicero
[Marcus Tullius, römischer Politiker, Schriftsteller und Philosoph; 106 – 43 v. d. Ztr.] das lateinische Zeitwort „relegere“. Das Wort kennzeichnet eine kritische Haltung, es sagt über den Gegenstand des Nachdenkens nicht aus. Darum klagt Augustin, die lateinische Sprache besitze kein Wort, das Verhältnis des Menschen zu Gott auszudrücken.

Lactanz [Kirchenschriftsteller, um 250 – 317 n. d. Ztr.; am Hofe Konstantins] wollte diesen Mangel beheben, indem er Religion von „religare“ = verbunden sein, ableitet und die Bindung an Gott betont. In der deutschen Sprache findet sich das Wort Religion erst seit dem sechzehnten Jahrhundert, vorher kannte man nur Heiden und Christen.

Kant (Immanuel; bedeutendster deutscher Philosoph; Prof. in Königsberg; 1724 – 1804] hat die Religion auf die Sittlichkeit zurückgeführt. Religion ist für ihn der Inbegriff aller unserer Pflichten, als ob sie göttliche Gebote wären.

Religion unterscheidet sich nicht von der Moral. Diese Auffassung der Aufklärung wird bald zum Allgemeingut der Gebildeten. Die Vernunftreligion ist die aus der vernünftigen Natur oder dem Gewissen des Menschen unmittelbar hervorgehende Religion.

Für Schleiermacher [Friedrich Daniel, Prediger und Professor in Berlin, einflussreichster evangelischer Theologe des 19. Jahrhunderts; 1768 – 1834] ist Religion Anschauung und
Gefühl des Universums. Wer einen Unterschied macht zwischen dieser und jener Welt, betört sich selbst; alle, die Religion haben, glauben nur an eine Religion, das ist ein Grundphänomen menschlichen Kultur. Religion ist das Streben nach Sinnfindung und Werterfüllung.

Sie ist zugleich aber auch der Glaube an Mächte, von denen sich der Mensch schicksalhaft abhängig fühlt.

Die griffige Formel, dass Religion Gottesglaube sei, findet sich so selbst in katholischen Handbüchern nicht mehr.

Religion ist Verehrung des Göttlichen. Sie ist ein gewissenhaftes Beachten, aber das, wozu man sich hinwendet, muss
solche Sorgfalt verdienen: Bindung an den ersten Ursprung und das letzte Ziel.

Religion ist unser Verhältnis zum Unverfügbaren und es wäre absurd zu sagen, dass die fortschreitende Zivilisation je unsere individuelle und kollektive Abhängigkeit vom Unverfügbaren wegzuarbeiten vermöchte.

Dauer und Fortdauer der Religion beruhen auf einer Welt- und Lebensverfassung, an der keine Kultur – auch die fortgeschrittenste nicht – je etwas ändern kann.

Ohne Religion ließen sich Freiheit und Realitätsfähigkeit unserer Kultur auf Dauer nicht begründen und sichern. Die Religion gehört zu den Voraussetzungen einer zukunfts-fähigen modernen Lebenskultur.

Religion ist keineswegs auf derselben Stufe notwendig, auf der alles andere notwendig erscheint. Erst wenn alles andere seine Notwendigkeit eingebüßt und aufhört von irgendwelchem Nutzen zu sein, zeigt sich uns die Notwendigkeit der Religion. Warum existieren wir überhaupt? Ist unser Leben nicht letzten Endes sinnlos?

Wenn wir dahin gelangen, den Sinn unserer Existenz zu bezweifeln und wenn wir uns selbst zur Frage werden, dann erhebt sich die Frage nach der Religion.

Unsere gemeinsamen Überzeugungen sind:

Der Maßstab der Vernunft

Das Streben nach Freiheit

Das Bemühen um Toleranz

Die Idee der Menschlichkeit.

[Es folgt das Angebot der Aktivitäten und Amtshandlungen der Freireligiösen Landesgemeinde Württemberg]

 

 

 

1992    Grundgedanken der Freireligiösen Gemeinde Mainz

Anlage zur Präambel der Verfassung

der Freireligiösen Gemeinde Mainz

vom 9. Juni 1992;

Anlage beschlossen am 17. März 1992

basierend auf einem Vorentwurf von Elke Gensler

 

 

Im Wissen um die Geschichte und Tradition der Freireligiösen, deren oberstes Prinzip die freie Selbstbestimmung in allen religiösen Angelegenheiten sowie die Entwicklung einer auf die Bedürfnisse des Menschen bezogenen Religiosität ist,

-         gegründet auf dem Maßstab der Vernunft,

-         verpflichtet der Verantwortung für Mensch, Natur und Umwelt,

-         in Anerkennung der Vielfältigkeit der Lebens- und Weisheitsformen

orientieren sich die Mitglieder der Freireligiösen Gemeinde Mainz an folgenden Grundgedanken, in dem Bewusstsein, dieses auf Grund sich verändernder Erkenntnisse und Bedürfnisse kritisch zu hinterfragen:

1.

Religion ist grundlegendes Element der menschlichen Natur.

Religion ist etwas,

-         was den Menschen im Innersten bewegt,

-         was ihn zutiefst angeht,

-          was ihm wesentlich ist.

2.

Religiös ist der Mensch, der sich nicht gedankenlos vom Schicksal treiben lässt, sondern versucht, dem Leben einen Sinn zu geben. Das religiöse Bedürfnis ist das Bedürfnis, Sinn zu erfahren und Sinn zu stiften. Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden zu haben, heißt religiös zu sein.

3.

Im Beziehungsgeflecht von Individuum und Gemeinschaft lassen sich unter anderem folgende Funktionen der Religion benennen, die dem Menschen helfen können:

-         Anstoß und Hilfe zur Sinnfindung zu geben,

-         Rückhalt und Orientierung auf existenzielle Fragen zu finden,

-         Krisensituationen anzunehmen und zu bewältigen,

-         Wertorientierung zu finden,

-         Grunderfahrungen in größere Zusammenhänge zu stellen,

-         bestehende Verhältnisse zu hinterfragen,

-          gemeinschaftsbildend zu wirken.

4.

Freie Religion fordert den Einzelnen auf, eigene Antworten auf existenzielle Grundfragen zu erarbeiten. Sie gibt keine fertige Antworten vor, bietet aber einen Rahmen an, indem sie

-         Den Menschen auf sich selbst verweist, auf seine Kräfte,

Fähigkeiten und Gefühle,

-         zum selbständigen und unabhängigen Suchen nach Wahrheit ermutigt,

-          zum solidarischen, die Rechte des Anderen nicht

      verletzenden Handeln auffordert.

5.

Freireligiöse sind diesseitsorientiert, das heißt sie glauben an die Einmaligkeit ihres Daseins, das sie durch ihr Tun und Lassen selbst verantworten, ohne sich auf eine überweltliche jenseitige Macht zu stützen.

6.

Die religiöse Haltung der Freireligiösen hat ihren Grund im Ergriffensein und positiven Annehmen einer Wirklichkeit, in der das Erforschliche und das Unerforschte zugleich enthalten sind. Sie sind sich bewusst, dass die uns bekannte Wahrheit nicht die letzte Wahrheit, das ganze Universum nicht die letzte Wirklichkeit ist.

7.

Freie Religion beruht auf der Idee der Ganzheitlichkeit und denkt  eine Einheit von

-         Körper und Geist,

-         Mensch und Welt,

-         „Gott“ und Welt.

8.

Das Göttliche ist den Freireligiösen ein Sinnbild für die gestaltenden Kräfte und Ordnungsstrukturen im Naturbereich. Das einzigartige Denkvermögen des Menschen ist Teil davon, und nur er ist Träger des religiösen Gedankengutes und damit der Religion. Somit ist für Freireligiöse „Gott“ im besonderen Maße auch ein Symbol für des Menschen eigene Kräfte, die er in seinem Leben als Praxis von Vernunft und Liebe zu verwirklichen sucht.

9.

Menschen Freier Religion fühlen sich gebunden an das Prinzip der Ehrfurcht vor dem Sein und entwickeln eine religiöse
Haltung, die das Mitgefühl und die Mitverantwortung für das Lebendige kultiviert.

10.

Die Wurzeln Freier Religion liegen in den das offizielle Kirchenchristentum kritisch hinterfragenden Bewegungen sowie in den Geistesbewegungen des Humanismus und der Aufklärung.

11.

Freireligiöse nutzen – soweit ethisch verantwortbar – Erkenntnisse der modernen Geistes- und Naturwissenschaft zur eigenen Wertebildung. In Fragen der Religion nehmen sie eine Haltung ein, die ohne Preisgabe intellektueller Redlichkeit, praktisch lebbar ist.

12.

Innerhalb des Spektrums Freier Religion ist Raum für theologische Positionen, die von pantheistischen Ansätzen bis hin zu religiös-humanistischen Überzeugungen reichen.

13.

Freie Religion ist nicht gebunden an feststehende Glaubenssätze oder –bekenntnisse.

In der Freireligiösen Gemeinde Mainz haben sich Menschen zusammengeschlossen, die bereit sind, ihr religiöses Bewusstsein zu vertiefen.

 

Ihre Religion ist frei, weil sie unabhängig von den durch Kirchen geheiligten Grundsätzen (Dogmen) ist

Sie sind religiös, weil sie sich um eine eigene Haltung dem Leben, der Natur und dem Kosmos gegenüber bemühen.

Diese innere Haltung ist durch eine Gemeinschaft getragen, die den Lebensgang des Einzelnen begleitet, ein aktives
Gemeindeleben fördert und ihr besonderes religiöses Interesse nach außen vertritt.

 

 

 

1994    Grundsätze

aus: „Verfassung der freireligiösen landesgemeinde  Baden vom 24.11.1994

 

Von ihren Grundsätzen [der FL Baden]

Die Freireligiöse Landesgemeinde Baden versteht unter Religion den Glauben an eine der Welt innewohnende, in ihr
wirkende geistige Kraft und damit an einen Sinn und Zweck des Daseins.

Diese Kraft nennt sie Gott. Begriff, Bild und Vorstellung Gottes überlässt sie dem persönlichen Bedürfnis, Denken und Empfinden der einzelnen Mitglieder.

In Anwendung auf das Leben ist ihr Religion das Streben, das Göttliche im Menschen zu entfalten, damit er sich so zur freien sittlichen Persönlichkeit heranbilde.

Die Freireligiösen wollen Religion nicht nur lehren, sondern leben, sie in sittliche Tat umsetzen.

Die Freireligiöse Landesgemeinde Baden tritt deshalb ein für Geistes-, Glaubens- und Gewissensfreiheit . . .

 

 

 

1999    18 Fragen an Freireligiöse

Inhalte Freier Religion

 

von  Thomas Lasi

aus: „Wege 0hne Dogma“, Mai 1999

 

3.      Glaubt Ihr an Gott?

Es gibt unter den Freireligiösen Agnostiker, Atheisten, Theisten und Pantheisten. Den persönlichen Gottesbegriff lehnen nahezu alle ab. Versteht man aber unter Gott die Kraft, die in allem wirkt, gar das umfassende Leben selber, so lautet die Antwort „ja“, obgleich dann einGlaube im Sinne eines Für-wahr-Haltens oder eines Vertrauens nicht nötig ist. Ein bestimmter, klar zu definierender Gottesglaube ist für Freireligiöse nicht verbindlich. Glaube ist weniger wichtig als Tun im Leben.

. . .

5.      Was ist Euch Religion?

Religion ist uns die Bindung an die Urkräfte, deren Dasein wir uns verdanken, das Gefühl des Einsseins mit der menschlichen Gemeinschaft und der Natur. Religion hat mit Sinngebung, Selbstwerdung und Reifung zu tun, mit Erfahrung der Transzendenz im Dasein. Religion ist uns nicht die festgelegte Forderung, etwas zu glauben, sondern Rückbindung, Ehrfurcht, Erstaunen und Einssein. Religion ist der Weg.

(Manche freidenkerisch geprägte Freireligiöse identifizieren das Wort „Religion“ mit „christlichem Glauben“ und lehnen diesen Begriff deshalb ab.)

6.      Warum „Freie“ Religion?

Frei heißt frei in der Religion zu sein, nicht frei von
Religion. Religiosität ist eine Grundbestimmung des Menschen, die sich in unendlich vielen Formen äußert und sich in verschiedenen historischen Ausprägungen niederschlug.
Frei sind wir insofern, als wir nicht dogmatisch gebunden sind, sondern uns die anderen Einsichten und Wahrheiten offen stehen, als Angebote und Möglichkeiten das Leben zu gestalten.

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18.  Warum muss es Freireligiöse Gemeinschaften geben?

Einmal als Alternative zu anderen Religionsformen, als geistige Heimat für die, die unsere Religiosität teilen, als Betreuung unserer Gemeindemitglieder. Zum anderen, weil die Werte, die wir vertreten, einer Gemeinschaft
bedürfen, die sich um sie kümmert. Fundamentalismus und Intoleranz sind eine ständige Bedrohung der Menschlichkeit.

 

 

 

 

Uns ist es genug zu wissen:

Wir gehören einem unendlichen lebevollen Weltall an.

Aus ihm wurden wir, in ihm leben wir,

in ihm bleiben wir.

Der Tod ist nicht Vernichtung, er ist Verwandlung.

Ewig fließt des Lebens unerschöpflicher Quell.

         Wilhelm Hieronymi

 

 

Glaube denen, die die Wahrheit suchen,

und zweifle an denen, die sie gefunden haben.

    Andre´ Gide

 

 

Das ewige Recht der Religion liegt in der Tatsache begründet,

dass der Mensch sich einer Welt  gegen-übersieht,

deren letzten Gründe er nicht kennt und nicht kennen kann;

es kennzeichnet ihn aber, dass er diese letzten Gründe bejaht.

Und indem er sie begreift, werden sie ihm zum Inbegriff dessen,

was ihm „heilig“ ist.

Vom Menschen her gesehen, ist Religion

- Ehrfurcht vor dem Urgeheimnis der Schöpfung,

- ein Gefühl für das Wunderbare allen Daseins,

- Glaube an einen höchst sinnvollen Weltgedanken,

- Treue im Hinblick auf den Urgrund seiner Existenz.

Das sind die seelischen Kräfte, die als Religion sein Leben begleiten

und allen seinen Lebenserfahrungen das eigene Gepräge geben.

          Georg Pick

 

 

Künstlers Abendlied

Ach, dass die inn´re Schöpfungskraft

Durch meinen Sinn erschölle!

Dass eine Bildung voller Saft

Aus meinen Fingern quölle!

Ich zittre nur, ich stottre nur

Und kann es doch nicht lassen;

Ich fühl´, ich kenne dich, Natur,

Und so muss ich dich fassen.

Bedenk ich dann, wie manches Jahr

Sich schon mein Sinn erschließet,

Wie er, wo dürre Heide war,

Nun Freudenquell genießet:

Wie sehn´ ich mich, Natur, nach dir,

Dich treu und lieb zu fühlen!

Ein lust´ger Springbrunn, wirst du mir

Aus tausend Röhren spielen.

Wirst alle meine Kräfte mir

In meinem Sinn erheitern,

Und dieses Dasein hier

Zur Ewigkeit erweitern

 Johann Wolfgang von Goethe

 

 

Freireligiös sind alle Menschen zu nennen,

die es als unwahrhaftig empfinden,

religiöse Vorstellungen festzuhalten,

die sie mit ihrem Wahrheitsgewissen nicht verantworten können,

die jedoch damit die Religion nicht als erledigt betrachten,

sondern nach der Form religiösem Denkens und Lebens suchen,

die den geistigen Grundlagen unserer Zeit angemessen ist.

         Georg Pick